Der kanadische Psychologe Jordan Peterson ist ein Phänomen – ein neuer Typus eines YouTube-Intellektuellen mit enormer medialer Reichweite. Dabei ist das, was er zu sagen hat, selten originell und oft ärgerlich. Interessant ist an dem Phänomen Peterson allenfalls die Heftigkeit, mit der sich die Geister an ihm scheiden.
Er wird als einer der derzeit einflussreichsten Intellektuellen der westlichen Welt gehandelt: Jordan B. Peterson, der kanadische Psychologieprofessor und Star des sogenannten „Intellectual Dark Web“. Auf seinem YouTube-Kanal folgen 2,3 Millionen Abonnenten seinen Vorlesungen und Vorträgen. Sein 2018 publiziertes Ratgeber-Buch „12 Rules for Life“ wurde zum internationalen Bestseller, übersetzt in über 40 Sprachen. Und seine als Show-Duelle inszenierten Debatten mit Philosophen wie Sam Harris oder Slavoj Žižek füllen ganze Stadien und werden weltweit kostenpflichtig per Livestream übertragen.
So erfolgreich Jordan Peterson ist, so polarisierend und umstritten ist er auch: Die einen stilisieren ihn zum wichtigsten konservativen Denker der Gegenwart, die anderen halten ihn für einen gefährlichen Stichwortgeber für den amerikanischen Rechtsruck. Und für viele ist er irgendwas dazwischen. In den unzähligen, immer öfter auch deutschsprachigen, Feuilleton-Artikeln über ihn findet sich eine ganze Bandbreite von Bezeichnungen für das Phänomen Peterson: Ratgeber-Guru und Vaterfigur, Antifeminist und Reaktionär, Kämpfer gegen die Political Correctness, Verteidiger von Vernunft und Wissenschaft, Selbstvermarkter und intellektueller Blender.
Dabei kannte noch vor vier Jahren kaum jemand den Namen Jordan Peterson. Da lehrte der 57-Jährige noch klinische Psychologie an der University of Toronto, betrieb eine psychotherapeutische Praxis und lud Vorträge über evolutionäre Psychologie, christliche Mythologie, Psychoanalyse oder Existenzphilosophie auf seinem YouTube-Kanal hoch. Peterson ist ein guter Rhetoriker und ein gebildeter Mann; seine Begeisterung für sein Fachgebiet ist spürbar. So stieß auch schon damals seine eher ungewöhnliche thematische Mischung auf das Interesse einer kleinen Gruppe von Fans – Zeug zum Weltruhm hatte Peterson damit aber nicht. Wie konnte dieser Mann in so kurzer Zeit so groß werden?
Erst seine Gegner machten ihn berühmt
Petersons Aufstieg zum öffentlichen Intellektuellen hat weniger mit seinem Renommee als klinischer Psychologe, als mit seinem politischen Auftreten zu tun. 2016 erlangte er erstmals größere Aufmerksamkeit als er sich öffentlichkeitswirksam gegen die Verabschiedung des kanadischen Gesetzes Bill C-16 aussprach – eine Gesetzeserweiterung gegen die Diskriminierung von Transgender-Personen und für die Verwendung von genderneutralen Pronomen.
Peterson veröffentlichte ein Video, in dem er argumentierte, das Gesetz würde das Verwenden falscher Pronomen unter Strafe stellen und damit die Redefreiheit gefährden. Den Gesetzestext hielt er für ideologisch verblendet und für den Ausdruck eines drohenden „linken Totalitarismus“.
Um Peterson sammelte sich schnell eine wachsende Gruppe von Anhängern – vor allem klassisch Liberale, Konservative und Rechte –, die ihn als „Free-Speech-Activist“ feierten. Seine Gegner warfen ihm dagegen „Hate Speech“ vor und protestierten gegen seine Veranstaltungen. Videos von hitzigen Diskussionen, in denen Peterson ruhig und gesprächsbereit bleibt, während aufgeregte Gegendemonstranten ihm Transphobie vorwerfen, wurden millionenfach angeschaut – sie begründeten Petersons Ruf unter seinen Anhängern, ein vernünftiger Kritiker unvernünftiger Rede- und Meinungsverbote zu sein.
Die Debatte verschärfte sich als eine Dozentin einer anderen kanadischen Universität – nach eigenen Angaben selbst keine Anhängerin Petersons – in ihrem Seminar den Ausschnitt einer TV-Debatte mit Peterson zeigte. Sie wurde in der Folge von der Fakultät dafür gerügt, mit dem Vorführen des Clips „transphobe Gewalt“ zu verbreiten, ein „toxisches Klima“ für die Studierenden zu schaffen und gegen Bill C-16 zu verstoßen. Der Fall sorgte auch außerhalb Kanadas für Aufsehen und für Diskussionen über Rede- und Meinungsfreiheit an nordamerikanischen Universitäten.
Der große Durchbruch gelang Jordan Peterson erst mit einem mittlerweile berühmt gewordenen Interview mit der Journalistin Cathy Newman. In dem Gespräch versuchte die Journalistin eher erfolglos, ihm Worte in den Mund zu legen, ihn bewusst falsch zu verstehen und ihm rechtsextreme Positionen zu unterstellen. Für Peterson war das ein Coup: 18 Millionen Menschen haben sich das Interview bis heute auf YouTube angeschaut. Seine Anhänger feierten ihn für seine Gelassenheit und sahen dessen These bestätigt, die linksliberalen Medien würden seine Positionen gezielt falsch darstellen. Seitdem steht Peterson im Rampenlicht.
Die vielen Gesichter des Jordan Peterson
Dass das Phänomen Peterson gar nicht so leicht zu fassen ist, liegt an den vielen Gesichtern des Mannes und an seiner inhaltlichen Vagheit: da ist der klinische Psychologe und Lebensberater, seine kuriose Mischung aus jungianischer Psychoanalyse und Evolutionspsychologie, und dann immer wieder seine Inszenierung als politischer Kämpfer gegen einen vermeintlich gefährlichen „postmodernen Kulturmarxismus“.
Mit seinem Selbsthilfe-Bestseller „12 Rules for Life“, das vor allem bei jungen Männern beliebt ist, füllt er offenbar eine Lücke. Nicht, dass es nicht zu genüge Ratgeberliteratur, Motivationstrainer oder Mind-Coaches gäbe – gerade in den Staaten. Doch man würde Peterson unrecht tun, ihn hier zu zuzählen. Denn seine Weltanschauung passt eigentlich so gar nicht in diesen Zeitgeist. Nach Peterson ist das Leben im Wesentlichen Leiden; Glück sei nicht erstrebenswert. Stattdessen empfiehlt er seinen Lesern, ihren Leben eine Bedeutung zu geben und Verantwortung zu übernehmen.
Seine Kapitel tragen Titel wie: „Behandle dich wie jemanden, für dessen Hilfe du verantwortlich bist“, „Strebe nach dem, was sinnvoll ist (nicht nach dem, was Vorteile bringt)“ oder auch „Läuft dir eine Katze über den Weg, dann streichle sie“. Diese simpel anmutenden Ratschläge unterfüttert Peterson mit Anekdoten aus seiner psychotherapeutischen Praxis, mit Geschichten aus der Bibel oder der Archetypenlehre des C.G. Jung.
Ärgerlich ist dabei vor allem seine Beimischung von evolutionstheoretischen Argumenten, die stets mit einem (teils nur angedeuteten) naturalistischen Fehlschluss enden: Mit Beispielen aus dem Tierreich (am liebsten anhand des Dominanzverhaltens von Hummern) will er traditionelle Geschlechterrollen, kapitalistischen Wettbewerb und hierarchische Strukturen als naturgegeben und deshalb erstrebenswert präsentieren.
Ihm ist oft vorgeworfen worden, eine sehr selektive und einseitige Darstellung der Evolutionstheorie zu liefern: Die evolutionsgeschichtliche Bedeutung von Kooperation kommt bei Peterson nicht vor. Interessanterweise ist er mit diesen Positionen auch bei ehemaligen Anhängern des sogenannten „Neuen Atheismus“ eines Richard Dawkins sehr beliebt, die sich an Petersons großen Sympathien für das Christentum nicht zu stören scheinen.
Jordan Peterson bezeichnet sich zwar selbst gerne als einen „Classic British Liberal“, seine Ansichten sind aber mindestens konservativ und autoritär zu nennen. Und die intellektuelle Redlichkeit, mit der er in seinen YouTube-Vorträgen über C.G. Jung oder Dostojewski doziert, hat Jordan Peterson bei politischen Themen längst verloren.
Als politischer Akteur lässt Jordan Peterson keine Gelegenheit aus, vor linker Identitätspolitik, Political Correctness, „Gender-Ideologie“ und den Gefahren eines um sich greifenden „Kulturmarxismus“ zu warnen – auch wenn er sich wiederholt von ihnen abgegrenzt hat, ist er mit diesen Bedrohungsszenarien auch anschlussfähig für die Neue Rechte. Den Gefahren eines erstarkenden Rechtspopulismus, globaler Ungerechtigkeit oder der Klimakrise schenkt er wenig Beachtung.
Wer hat Angst vor Jordan Peterson?
Bleibt die Frage, die am Ende eines jeden Feuilleton-Artikels über Jordan Peterson gestellt wird: Wie umgehen mit dem Phänomen? Die Geschichte seines Aufstiegs gibt einen Hinweis auf die Antwort: Man sollte Petersons Inszenierung als Tabubrecher und Märtyrer der Meinungsfreiheit keine Glaubwürdigkeit dadurch verleihen, dass man versucht, ihn zu verhindern. Die Idee vieler Kritiker, man dürfe sich gar nicht erst auf ihn einlassen und müsse seine Veranstaltungen und Lehraufträge an Universitäten verhindern, zeugt von einem fehlenden Vertrauen in die Stärke der eigenen Argumente.
Besser ist es, ihn mit sachlicher Kritik und dem Aufzeigen der Schwächen und Widersprüche in seinem Denken zu stellen – das ist auch möglich, ohne seine Positionen zu persiflieren oder absichtlich misszuverstehen. Was Peterson so beliebt macht, ist sein Versprechen, – anders als seine Kritiker – frei von Ideologie zu sein und allein mit der Stimme der Wissenschaft und Vernunft zu sprechen. Er erfüllt damit eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Autorität; verkörpert durch den ernsten intellektuellen Hochschulprofessor im Anzug. Wer mit Dogmatismus gegen ihn vorgeht, stärkt ihn in dieser Rolle. Es gilt dagegen aufzuzeigen, wo Peterson unwissenschaftlich oder unkritisch ist und wo er selbst einer Ideologie anhängt.
Eine von Petersons zwölf Regeln lautet: „Gehe davon aus, dass die Person, mit der du sprichst, etwas wissen könnte, was du nicht weißt.“ Dagegen ist nichts einzuwenden. Daran muss man selbstverständlich auch Jordan Peterson selbst messen. Wenn er seinen Kritikern ideologische Verblendung unterstellt, sich selbst aber als ideologiefrei darstellt, beherzigt er seine eigene Regel selbst schon längst nicht mehr.