Auf den ersten Blick haben Unterhaltungsfilme vor allem eine Aufgabe: Uns Zuschauer so gut zu unterhalten, dass wir unser Geld im Kino lassen. Aber die Kunstform des Films hat schon immer Gesellschaftszustände abgebildet und kritisiert – und selbst das Popcorn-Kino hat bisweilen subtile Botschaften für uns Zuschauer parat. Carsten Pilger präsentiert einige Beispiele.

Die Filme in dieser Liste ließen sich auch als reine Unterhaltung genießen. Aber in ihnen steckt sehr viel mehr: Denkfutter und gesellschaftskritische Metaphern. Um eines klarzustellen: Werke von Autoren wie Michael Haneke oder Ken Loach, die bewusst als gesellschaftskritische Filme gedacht sind, gehören nicht auf diese Liste. Stattdessen finden sich hier Filme, die es schaffen, auf subtile Art und Weise kritisches Denken ins Mainstream-Kino zu heben.

X-Men (2000)

Worum es geht: Eine kleine Gruppe von Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten, genannt Mutanten, kämpfen darum, anerkannt zu werden. Ihre Gegner sind sowohl andere Mutanten, die sich die Menschen ohne Superkräfte untertan machen wollen, als auch Politiker, die alle Mutanten unter Generalverdacht stellen. 

Die gesellschaftskritische Botschaft: Freiheitsrechte und Gleichstellung. Comic-Schöpfer Stan Lee entwarf bereits in den ersten Ausgaben die 1963 erfundenen X-Men als Metapher für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung. Die Philosophie von X-Men-Anführer Professor X lehnt sich in wesentlichen Teilen an den gewaltfreien Protest von Martin Luther King an. Entsprechend verbirgt sich hinter diesem Comic-Spektakel ein Stück Menschenrechtsgeschichte. Die 2000er Verfilmung bringt dieser Metapher noch eine weite Ebene bei, da etwa mit Schauspieler Ian McKellen und Regisseur Bryan Singer offen homo- und bisexuelle Akteure mitwirkten, die im Film deutliche Parallelen zur Schwulen- und Lesbenrechtsbewegung sahen.

Dawn of the Dead (1978)

Worum es geht: Überlebende einer Zombie-Apokalypse fliehen in ein leerstehendes Einkaufszentrum, um sich dort vor lebenden Toten zu verbarrikadieren.

Die gesellschaftskritische Botschaft: Konsumkritik. Während viele Zuschauer den Film wohl vor allem als Horror-Spektakel konsumiert haben, verhehlte Regisseur George A. Romero nie, dass er ihn als Statement gegen Konsumismus versteht. In einem Interview mit dem Time Magazine sagte er 2010: „Wenn ich was kritisieren möchte, mach ich es halt mit Zombies. So bekomme ich das Geld für diese Filme zusammen und kann so meine politischen Ansichten ausdrücken.“ Tatsächlich ist der als „Zombie“ in Deutschland erschienene Film eine beißende Kritik am Materialismus. Das leerstehende Einkaufszentrum bietet den Geflüchteten im Film einen scheinbar unendlichen Wohlstand und Segen. Doch das Leben im Luxus überdeckt nur für kurze Zeit die draußen lauernde Gefahr – drinnen herrscht Leere und Monotonie.

Aliens – Die Rückkehr (1986)

Worum es geht: Im zweiten Teil der Alien-Reihe versucht eine Truppe von Soldaten auf dem Alien-Planeten eine Kolonie von Menschen zu retten, zu denen der Kontakt abgebrochen ist. Ein gefährliches Unterfangen, bei dem die technisch überlegenen Militärs es mit einer unbekannten Spezies zu tun bekommen.

Die gesellschaftskritische Botschaft: Vietnam. In vielerlei Hinsicht war bereits der erste Alien-Film, bei dem noch Ridley Scott Regie führte, für Deutungen offen, die weit über einen Sci-Fi-Horrorfilm hinaus gehen. Allein die Fortpflanzung der außerirdischen Spezies – Neugeborene brechen aus dem Brustkorb des menschlichen Wirts und töten diesen – gilt als Vergewaltigungsmetapher. 

Im zweiten Teil übernahm James Cameron (Terminator, Titanic) die Regie und drehte eher einen Action-Film, der als Metapher für den Vietnam-Krieg verstanden werden kann. Diese Lesart bestätigte der Regisseur in Interviews. Die Soldaten sind nur scheinbar technisch überlegen, auf fremdem Terrain haben sie keine Chance gegen einen aus dem Verborgenen operierenden Feind. Zudem stellt sich heraus, dass die vorgebliche Rettungsmission nur vom mächtigen Konzern Weyland-Yutani als Vorwand genutzt wird, um Alien-Exemplare für die militärische Forschung aufzufinden. In den 80ern dürften so vermutlich auch viele Kinozuschauer, die Antikriegsfilme zu Vietnam vermeiden wollten, unwissentlich mit „Aliens“ einen solchen gesehen haben.

Starship Troopers (1997)

Worum es geht: Die Menschheit hat in der Zukunft begonnen andere Planeten zu kolonialisieren. Auf einem dieser Planeten trifft sie auf Widerstand: Die „Bugs“, große, technisch unterlegene, insektenähnliche Außerirdische. Es kommt zu einem verlustreichen Krieg der Erden-Armee gegen die Weltraumkäfer.

Die gesellschaftskritische Botschaft: Antifaschismus und Antimilitarismus. „Starship Troopers“ spielte an den Kinokassen gerade einmal die Produktionskosten wieder ein, wurde von Kritikern sehr durchwachsen bewertet und galt als Flop, der erst später zu einem Kultklassiker avancierte. Das liegt nicht nur an den sehr blutigen Szenen, in denen Soldaten zerteilt werden oder das Gehirn ausgesaugt bekommen – es liegt auch daran, dass der Film erst spät als Satire auf faschistische Gesellschaften anerkannt wurde. 

In Propagandafilmen innerhalb des Films wird Militarismus glorifiziert und aus den Filmen Leni Riefenstahls zitiert, den „Bugs“ die Lebensberechtigung aberkannt. Die Uniformen der Soldaten sind bewusst in einem Grauton gehalten, der an jene deutscher Soldaten im zweiten Weltkrieg erinnert. Den Opfertod der Soldaten (und es gibt reichlich Tote) glorifiziert die Erdenarmee als höchste Auszeichnung im Dienst für das eigene Volk. Die Parallelen zu den Nazis sind zahlreich und stammen nicht aus der Buchvorlage von „Starship Troopers“, sondern wurden vom niederländischen Regisseur Paul Verhoeven, der selbst als Kind die Nazibesatzung erlebte, in den Film eingebaut. Auch um den amerikanischen „Hurra-Patriotismus“ zu kritisieren. 

RoboCop (1987)

Worum es geht: Der Detroiter Polizist Alex Murphy stirbt im Einsatz und erwacht im Körper eines Roboters zu neuem Leben. Als Mensch-Maschinen-Hybrid geht er auf Verbrecherjagd und auf die Suche nach seinen Mördern.

Die gesellschaftskritische Botschaft: Kapitalismuskritik. Auch Paul Verhoevens erste Regiearbeit in den USA verdient eine Erwähnung in dieser Liste. „RoboCop“ befriedigt sicher die Lust nach viel Action und Effekten, aber besitzt auch eine zweite Ebene: Der Film spielt im Detroit der Zukunft, in dem öffentliche Aufgaben wie etwa die Polizei komplett in die Hände eines privaten Konzerns gelegt wurden, dem praktischerweise bereits die Medien gehören. Damit verarbeitete Verhoeven seine Sicht auf die USA der 1980er Jahre, die von der „konservativen Revolution“ unter Präsident Ronald Reagan geprägt waren. Ein zentraler Bestandteil von Reagans Programm waren damals auch Privatisierungen. 

Verhoeven zeichnet ein noch weitergehendes Bild dieser realen Vorstellungen konservativer Politiker und entwirft eine Welt, in der Privatisierungen zu Monopolbildungen, aber eben auch zur Verelendung der Gesellschaft geführt haben: Das Detroit in „RoboCop“ ist gezeichnet von Korruption und Verbrechen – manche Kritiker sagen aus heutiger Sicht, der Film habe den Fall dieser Stadt vorhergesehen.   

WALL·E – Der Letzte räumt die Erde auf (2008)

Worum es geht: In der fernen Zukunft haben die Menschen die Erde aufgrund von Massenkonsum und Ignoranz unbewohnbar gemacht. In Raumschiffen leben sie fernab der ehemaligen Heimat. Auf der Erde verrichtet ein letzter Roboter, der zum Aufräumen programmiert wurde, seinen Dienst.

Die gesellschaftskritische Botschaft: Aufruf zu Umweltschutz und Kritik der Konsumgesellschaft. Im Vergleich zu anderen Filmen dieser Liste versteckt „WALL·E“ die gesellschaftskritischen Züge kaum: Die vor den Folgen des eigenen Mülls auf Raumschiffen in den Weltall geflohenen Menschen sind in diesem Film fette Idioten, ihr Zeitvertreib monoton. Bemerkenswert ist eher, dass sich ein von Pixar und Disney produzierter Animationsfilm traut, eben diese Kritik in einem kindergerechten Mainstream-Film zu platzieren.

Get Out (2017)

Worum es geht: Der schwarze Fotograf Chris reist mit seiner weißen Freundin Rose zu deren Eltern, die zu typischen Vertretern der linksliberalen Mittelschicht der USA gehören. Doch irgendetwas stimmt in der Idylle nicht.

Die gesellschaftskritische Botschaft: Alltagsrassismus. Einen Film wie „Get Out“ könnte jeder sich zur Unterhaltung auch als klassischen Horrorfilm anschauen. Damit ließe man sich aber sehr viel entgehen. Denn vielleicht erreicht die Gesellschaftskritik hier die Zuschauer weniger subtil als bei anderen Filmen in dieser Liste, dafür schafft „Get Out“ gerade mit seinem großen Erfolg beim Publikum (unter anderem gab es den Oscar für das beste Original-Drehbuch) genau dieses selbst ins Visier zu nehmen.

Viele Filme, die Rassismus behandeln, unterscheiden zwischen „den“ rassistischen Bösewichten und den guten, unvoreingenommenen Helden, die weiß sind. „Get Out“ verzichtet darauf und stellt Rassismus als ein System dar. Rassistisch sind hier die Weißen, die vordergründig als linksliberale Freunde „schwarzer Kultur“ auftreten und Obama gewählt haben. Ihr Hass auf andere Rassen besteht nicht aus Naziparolen oder offener Gewalt. Sie drängen Schwarze zurück in den „sunken place“ (zu diesem Konzept gibt es auch eine Folge des Podcasts „Kanackische Welle“), den Regisseur Peele als Metapher für die Marginalisierung der Schwarzen sieht. Das wahre Horror von „Get Out“ findet somit weniger im Kinosaal, als außerhalb, in der Realität, statt.