Im Islam gilt die Abkehr vom Glauben als schwere Sünde. Trotzdem bekennen sich immer mehr Menschen in islamischen Ländern zum Atheismus. Wir stellen drei Ex-Muslime vor, die dem Glauben abgeschworen haben und deswegen aus ihrer Heimat flüchten mussten.
Rana Ahmad – Ausbruch aus dem Gottesstaat
Rana Ahmad ist in Saudi-Arabien aufgewachsen. Das streng kontrollierte Leben unter den Regeln und Geboten des wahhabitischen Islam war für sie lange Zeit eine Selbstverständlichkeit. Erst im Alter von 26 Jahren begann sie ihren Glauben und die Religion zu hinterfragen, als sie durch einen Twitter-Beitrag des Accounts „Arab Atheist“, zum ersten Mal mit dem Thema Atheismus in Berührung kam. Dass es überhaupt Menschen gibt, die nicht an Allah glauben, war für sie zu diesem Zeitpunkt noch eine ungeheuerliche Vorstellung.
Ahmad fing daraufhin an, sich mit Wissenschaft und Philosophie auseinanderzusetzen. Sie verschlang die in Saudi-Arabien verbotenen Werke von Darwin, Rousseau, Voltaire, Nietzsche und Dawkins, die ihren Blick auf die Welt und damit ihr Leben nachhaltig verändern sollten. Die gläubige Muslimin wurde zur Atheistin – ein Gesinnungswandel, auf dem im islamischen Gottesstaat die Todesstrafe steht.
Als die streng religiöse Familie von ihrem inneren Wandel erfuhr, wurde Ahmad zu einer Pilgerfahrt nach Mekka gezwungen, um sie zurück zum Glauben zu führen. Doch dort, am zentralen Heiligtum des Islam, legte sie eine andere Form des Bekenntnisses ab: Heimlich machte sie ein Foto, auf dem sie einen Zettel mit der Aufschrift „Atheist Republic“ hält und stellte es ins Internet. „Der Mut, auf diese Art zu protestieren, war einfach über mich gekommen, in mir angeschwollen und verließ mich wenige Minuten später, als alles vorbei war. In dem kurzen Zeitfenster, in dem ich ihn in mir getragen habe, war dieser Mut mein Weg, in die Welt hinauszuschreien, dass ich keine Muslima bin“, erklärt Ahmad die lebensgefährliche Aktion. „Ich habe mich befreit. Ein Zeichen gesetzt für andere Ex-Moslems: Ihr seid nicht alleine.“
Die Abkehr von der Religion war für Ahmad eine unumkehrbare Zäsur, die sie zum Ausbruch aus Saudi-Arabien bewegte. Mit der Unterstützung eines Freundes gelang ihr zunächst die Ausreise. Nach monatelanger Flucht, die sie von der Türkei per Schlauchboot über das Mittelmeer nach Griechenland führte, kam sie 2015 in Deutschland an. Sie fühlte sich befreit und in Sicherheit.
Doch als sie sich in einer Flüchtlingsunterkunft in Köln wiederfand, war sie keineswegs an einem sicheren Ort gelandet. Einige der anderen Flüchtlinge in der Unterkunft waren fundamentalistische Muslime, die Apostasie – die Abkehr vom Glauben – als todeswürdiges Vergehen hielten: „Ich hatte das Gefühl, Saudi-Arabien nie verlassen zu haben“, blickt Ahmad auf die bedrohliche Situation zurück. Hilfesuchend wandte sie sich an die Menschenrechtlerin Mina Ahadi vom Zentralrat der Ex-Muslime. Durch sie lernte Ahmad einige Mitglieder der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung kennen, die ihr nicht nur eine Wohnung in Köln vermittelten, sondern in den folgenden Monaten auch zu engen Freunden wurden.
Mittlerweile hat Rana Ahmad einen neuen Namen angenommen, aus Angst, ihre Familie könnte sie hier finden. Einschüchtern lässt sie sich davon jedoch nicht. Ein selbstbestimmtes Leben möchte sie nun auch anderen Menschen ermöglichen und engagiert sich daher in dem Verein Säkulare Flüchtlingshilfe, der wesentlich auf ihre Initiative zurückgeht.
Amed Sherwan – Vom eigenen Vater angezeigt
Amed Sherwan wurde in Erbil, der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan, geboren. In seiner Kindheit betete er mit Freunden und der muslimischen Familie und besuchte regelmäßig die Moschee. Bis er eines Tages im Internet auf religionskritische und atheistische Seiten stieß. Zunächst erschienen ihm die Texte als gefährliche Gotteslästerung, doch es dauerte nicht lange, bis er zunehmend an seinem eigenen Glauben zweifelte: „Ich hatte das Gefühl, dass ich einer großen Täuschung ausgesetzt worden war. Das, was meine Familie, die Schule und die Moschee mir als Religion der Liebe verkauft hatten, war eine Ideologie der Diskriminierung und des Hasses.“
Sherwan trat daraufhin über Facebook mit Atheisten in Kontakt und begann selbst, kritische Gedanken über den Islam und den Propheten Mohammed zu posten. Irgendwann outete er sich auch gegenüber seinem streng religiösen Vater: „Papa, ich bin nicht mehr Moslem, ich glaube nicht mehr an die Religion, deine Religion werde ich trotzdem respektieren. Aber du solltest auch meine Gedanken über Religion akzeptieren“, erklärte er ihm. Doch dieser akzeptierte die Gedanken seines Sohnes nicht und zeigte ihn wegen Blasphemie bei der Polizei an.
Am Abend des 23. Oktobers 2013 betraten Polizisten die Wohnung und nahmen Sherwan fest. Auf der Wache angekommen, wurde der damals 15-jährige Junge massiv misshandelt. Die Polizisten zogen ihm die Schuhe aus, banden seine Beine an den Fußgelenken quer auf eine Kalaschnikow, zogen ihn daran hoch und schlugen mit Schläuchen auf seine nackten Fußsohlen. Sie spuckten und brüllten ihn dabei an: „Glaubst du an Darwin? Sind wir Affen?“ Sie setzten Elektroschocks ein und ließen ihn wie einen Affen tanzen, während sie auf ihn einschlugen.
Danach wurde Sherwan in ein Jugendgefängnis überführt. Auch dort war er Folter und Misshandlung ausgesetzt. Ein Polizist hielt ihm eine Waffe an den Kopf und drohte ihm: „Ich erschieße dich und garantiere mir damit einen Platz im Paradies!“ Andere Polizisten mussten einschreiten, um ihren Kollegen zurückzuhalten.
Wenige Tage später konnte Sherwan frühzeitig aus der Haft entlassen werden, da sein Onkel eine Kaution zahlte. Doch außerhalb des Gefängnisses war nun kein normales Leben mehr möglich. Da er sich islamkritisch geäußert hatte, konnte er sich nicht mehr frei in der Stadt bewegen, ohne bedroht zu werden. Landesweit galt er nun als „Kāfir“, als Ungläubiger. Eine Kinderrechtsorganisation, die sich um ihn kümmerte, riet ihm daher, das Land zu verlassen, um sein Leben zu retten. Sherwan willigte ein und flüchtete über die Türkei nach Deutschland.
Seit 2014 lebt der nun 21-Jährige in Deutschland und arbeitet als Blogger und Menschenrechtsaktivist. Auch hier erhält er deswegen immer wieder Morddrohungen von fundamentalistischen Muslimen. Für einige Zeit stand er sogar unter Polizeischutz, weil er auf dem Christopher Street Day ein T-Shirt mit der Aufschrift „Allah is Gay“ trug. Die bestehende Gefahr hält Sherwan jedoch nicht davon ab, sich weiter für Meinungs- und Gedankenfreiheit einzusetzen: „Ich habe meine Freiheit hart erkämpft und es treibt mich weiter an, dass es nicht umsonst geschehen ist und ich mit meiner Geschichte etwas erreichen kann.“
Mohamed Hisham – Ein TV-Auftritt veränderte sein Leben
In Ägypten gibt es nur wenige Atheisten, die offen zu ihrem Unglauben stehen. Zu groß ist die Gefahr, inhaftiert und gefoltert zu werden. Der 28-jährige Mohamed Hisham hat es trotzdem gewagt und damit den Hass religiöser Hardliner auf sich gezogen.
Obwohl in seinem Elternhaus eine fundamentalistische Lesart des Islam gepredigt wurde, zweifelte Hisham schon früh an der Wahrheit der islamischen Glaubenslehre. Durch religionskritische Beiträge in Internet-Foren entwickelte er sich zu einem überzeugten Atheisten. Zunehmend begeisterte er sich für die Bücher von Richard Dawkins und Sam Harris und begann sich für Wissenschaft und Philosophie zu faszinieren. Nur mit innerem Widerstand nahm er weiterhin an Gebeten und Moscheebesuchen teil, um dem absehbaren Konflikt mit der Familie aus dem Weg zu gehen.
Doch 2017 traf er eine Entscheidung, die sein Leben auf den Kopf stellen sollte. Er entdecke im Internet eine Anfrage für eine Talkshow in der Fernsehsendung „Egyptian Street“, in der mit einem Imam über den Atheismus diskutiert werden sollte. Hisham nahm die Einladung als einzige Person an, obwohl ihm bewusst war, welche Gefahren damit verbunden waren: „Für mich war es eine riskante Angelegenheit. Schließlich wusste ich, dass es einer Selbstmordmission glich. Aber ich fühlte, dass wir Ex-Muslime eine Chance verdienten. Und diese Chance erforderte ein Opfer“, erklärt er heute.
Tatsächlich stellte sich schnell heraus, dass eine echte Diskussion nie angedacht war. Hisham hatte in der Talkshow kaum Zeit zu erklären, warum er nicht an Gott glaubt, als der Gastgeber ihn nach wenigen Sekunden unterbrach und anfing, sich lautstark gegen ihn zu wenden. Vor einem Millionenpublikum wurde der zurückhaltend auftretende Atheist als psychisch krank und als Gefahr für die Jugend beschimpft und schließlich aus der Sendung geworfen. Das Video von Hishams TV-Auftritt verbreitete sich nach wenigen Stunden rasant in den sozialen Netzwerken. Weltweit wurden Menschen auf den Eklat aufmerksam – so auch Hishams Familie, die ihn deswegen verprügelte und zuhause einsperrte. Kurz danach schaltete sich die Polizei ein und ermittelte gegen ihn wegen Blasphemie, die in Ägypten unter Strafe steht.
Dass die Lage derart eskalieren würde, hatte Hisham nicht erwartet. Er beteuerte daher aus Selbstschutz, wieder ein gläubiger Muslim zu sein. Zur gleichen Zeit plante er jedoch schon heimlich seine Ausreise aus Ägypten. Nachdem ihm diese mehrmals verwehrt wurde, versuchte er vergeblich, sich das Leben zu nehmen. Erst mithilfe ausländischer Unterstützer konnte er aus Ägypten fliehen und gelangte über Jordanien nach Frankfurt, wo er Asyl beantragen konnte.
Heute ist Hisham dankbar dafür, dass er in Deutschland eine Zuflucht gefunden hat, in der er offen über seine Weltanschauung reden kann. In Zukunft möchte er sich verstärkt für andere Apostaten einsetzen, die ein ähnliches Schicksal wie er erleiden mussten.