Sie sind antiquiert, überholt und verstoßen gegen grundlegende Menschenrechte. Von diesen drei Paragrafen des Strafgesetzbuches sollten wir uns endlich trennen.
Seit einem Jahr ist das deutsche Strafgesetzbuch um einen unsinnigen Gesetzestext leichter. Paragraf 103 StGB, der sogenannte Majestätsbeleidigungs-Paragraf, war in die Schlagzeilen geraten, nachdem der türkische Präsident Erdogan rechtlich gegen das Satiregedicht des Fernsehmoderators Jan Böhmermann vorgegangen war. Das Strafverfahren gegen Böhmermann wurde zwar eingestellt – es brachte jedoch eine Diskussion ins Rollen, die schließlich zur Abschaffung des umstrittenen Paragrafen führte: Am 1. Juni 2017 beschloss der Bundestag einstimmig, ihn endgültig aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Und seit dem 1. Januar 2018 ist die „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ in Deutschland kein Strafbestand mehr.
Die Böhmermann-Affäre hat gezeigt: Es ist möglich, auch in relativ kurzer Zeit einen unnötigen Paragrafen abzuschaffen. Die obrigkeitshörige Strafvorschrift aus dem Kaiserreich passte nicht in unsere moderne Demokratie und musste deshalb weg. Mit diesen drei Gesetzestexten sollten wir weitermachen – ihre Streichung aus dem Strafgesetzbuch ist längst überfällig.
1. Paragraf 219a StGB: Werbeverbot für Abtreibungen
Was er besagt: Die „Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft“ ist nach §219a strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet. Damit sind auch sachliche Informationen und das Auflisten des Abbruchs im Leistungsspektrum einer Arztpraxis verboten. Ärztinnen und Ärzte machen sich demnach strafbar, wenn sie darüber informieren, dass und wie sie Abtreibungen vornehmen.
Warum er weg muss: Wer sich im Netz über einen Schwangerschaftsabbruch informieren will, findet derzeit nur schwer neutrale Beratung. Weil viele Ärzte aus Angst vor einer Anzeige keine Auskunft geben, wissen Betroffene häufig nicht, wo in ihrer Nähe Abtreibungen vorgenommen werden. Stattdessen landen sie bei der Online-Recherche zwangsläufig irgendwann auf einer der vielen Internetseiten von Abtreibungsgegnern, die entweder wichtige Informationen unterschlagen oder gezielt Fehlinformationen streuen: Seiten, auf denen Abtreibungen mit dem Holocaust verglichen werden, wo Ärzte und Hilfsorganisationen diffamiert werden, wo Abschreckung und moralischer Druck verbreitet werden.
Schon der Begriff des „Werbeverbots“ ist irreführend. Das Gesetz will verhindern, dass einzelne Ärzte die Abtreibung zu einem profitbringenden Geschäft machen. Tatsächlich aber verhindert es, dass Ärzte – die ja für den Abbruch einer Schwangerschaft, wie für jeden medizinischen Eingriff, ein reguläres Honorar bekommen – grundlegende Informationen veröffentlichen dürfen. Damit werden Ärzte kriminalisiert, wenn sie der Aufklärungsarbeit nachgehen, die ihr Berufsethos gebietet. Paragraf 219a widerspricht damit dem Recht jeder Frau auf Information, auf freie Arztwahl und auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch – er ist ein Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung.
Das „Werbeverbot für Abtreibungen“ wird immer wieder von selbsternannten Lebensschützern genutzt, um Ärzte mit Klagen einzuschüchtern. So wurde die Gießener Ärztin Kristina Hänel 2017 nach §219a zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Website darüber informiert hatte, dass sie Abtreibungen vornimmt. Der Fall hatte bundesweit Debatten um eine Änderung des Abtreibungsrechts ausgelöst. Ein gerade vorgestellter Kompromiss der Großen Koalition sieht nun eine Änderung des Paragrafen vor: Ein neuer Absatz soll es Ärzten künftig erlauben, auf ihrer Internetseite anzugeben, dass sie Abtreibungen vornehmen.
Das geht zwar in die richtige Richtung. Doch weiterführende Informationen über Ablauf, Methoden und Rechtslage sind Ärzten weiterhin untersagt. Besser als eine Änderung oder Ergänzung wäre also die ersatzlose Streichung des Paragrafen. Eine parlamentarische Mehrheit würde es dafür sehr wohl geben: SPD, Linke, Grüne und FDP haben sich bereits für eine Abschaffung ausgesprochen.
2. Paragraf 218 StGB: Schwangerschaftsabbruch
Was er aussagt: Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nach §218 noch immer eine Straftat. Der Staat verzichtet lediglich auf eine Strafverfolgung, wenn die Frau sich bei einer anerkannten Stelle beraten lässt und innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen abtreibt. Zwischen der Beratung und dem Eingriff müssen drei Tage Bedenkzeit liegen. Auch bei einer Vergewaltigung oder wenn Gesundheit und Leben der Frau bedroht sind, bleibt eine Abtreibung straffrei.
Warum er weg muss: Paragraf 218 trat im Jahr 1872, ein Jahr nach der Gründung des Deutschen Reiches, in Kraft und damit 46 Jahre vor der Einführung des Frauenwahlrechts. Allein das spricht Bände. §218 ist ein Relikt aus dunklen Vortagen, das so nicht mit dem Menschrecht auf körperliche, auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung vereinbar ist. Der Schwangerschaftsabbruch wird in Deutschland zwar de facto nicht strafrechtlich verfolgt – er gilt dennoch als eine „Straftat gegen das Leben“.
Allein die Existenz dieses Gesetzestextes bedeutet eine Tabuisierung und Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Denn eine Frau, die sich auch nach guter Überlegung und Beratung für eine Abtreibung entscheidet, tut in den Augen des Staates etwas Verwerfliches: Wenn sie auch nicht belangt werden kann, sie soll sich wenigstens schuldig fühlen. Dabei konnte immer wieder gezeigt werden, dass nicht der Eingriff selbst für Betroffene traumatisierend wirkt, sondern erst die gesellschaftliche Ächtung.
Versuche, den Abtreibungsparagrafen zu Fall zu bringen, gibt es schon lange. Auf den Kompromiss, Abtreibung für illegal aber straffrei zu erklären, hatten sich Gegner und Befürworter einer Legalisierung im Jahr 1995 geeinigt. Seitdem war es verhältnismäßig still um den §218. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass der Debatte um 219a eine grundlegendere Debatte um 218 folgen wird. Und je vehementer sich konservative Parteien gegen eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetze wehren, desto wahrscheinlicher wird sie.
Weltweit zeigt sich: Die Abtreibungsraten sind immer dort am geringsten, wo liberale Abtreibungsgesetze gelten. Ungewollte Schwangerschaften verhindert man nicht durch Zwang und Abschreckung, sondern mit guter Rechts- und Sexualaufklärung, mit Zugang zu Verhütungsmitteln und einer Stärkung der individuellen Selbstbestimmung.
In seiner jetzigen Form sollte der Paragraf also gestrichen werden. Daraus muss wohlgemerkt nicht folgen, dass künftig Schwangerschaftsabbrüche bis in den neunten Monat erlaubt sind, wie es von Abtreibungsgegnern gern als Schreckensszenario genutzt wird. Eine vernünftige, evidenzbasierte Frist für Abbrüche kann auch nach Streichung von §218 noch im „Schwangerschaftskonfliktgesetz“ geregelt werden.
3. Paragraf 166 StGB: Gotteslästerung
Was er aussagt: Die Gotteslästerung steht in Deutschland nach §166 unter Strafe. Das Beschimpfen von religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen, von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften ist strafbar, wenn dadurch der „öffentliche Frieden“ gestört wird. Es kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet werden.
Warum er weg muss: Es ist nicht die Aufgabe des Staates, religiöse Gefühle zu schützen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch auf Spott und Satire, darf – neben Parteien und Institutionen – auch vor Religionen nicht haltmachen. Ein Gesetzestext, der ausschließlich Religiöse vor der Verunglimpfung ihres Glaubens schütz, passt nicht zu unseren freiheitlich-säkularen Werten.
Selbstverständlich gebührt jedem Menschen Respekt und Achtung, unabhängig von seinen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. Nur bleibt es dabei ein Unterschied, ob eine Person beleidigt wird (dafür haben wir §185 StGB) oder ihr Glaube. Die Gläubigen selbst sind bereits durch die Strafbarkeit der Beleidigung, der üblen Nachrede und der Volksverhetzung geschützt.
Die Rücksicht auf religiöse Gefühle kann als ein wichtiges Gebot des Respekts und der Toleranz verstanden werden. Und sicherlich ist nicht jede Verunglimpfung religiöser Inhalte angebracht, geschmackvoll oder sinnvoll. Aber erlaubt muss sie sein.
Auch wenn der Paragraf heute nur selten zur Anwendung kommt: Es ist schlicht heuchlerisch, wenn wir den harten Umgang mit Religionskritik in anderen Ländern kritisieren, und hierzulande selbst die Gotteslästerung unter Strafe stellen. Auch der Verweis auf den öffentlichen Frieden macht das Gesetz nicht sinnvoller: Denn der öffentliche Frieden wird nicht etwa durch Satiriker und Künstler, sondern durch gewaltbereite und leicht zu provozierende Fundamentalisten gefährdet. Der Paragraf 166 überlässt eben solchen Extremisten die Deutungshoheit.
Nach dem Terroranschlag auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ wurden Stimmen laut, den Gotteslästerungsparagrafen abzuschaffen: Die Grünen und die FDP sprachen sich für eine Streichung von §166 aus. Die CSU reagierte dagegen mit der Forderung, den Paragrafen gar zu verschärfen und Blasphemie künftig noch härter zu bestrafen. Ein fatales Signal: Wo Freiheit durch religiösen Fundamentalismus bedroht wird, dürfen wir nicht selbst mit einer Einschränkung der Freiheit antworten. Die Abschaffung von Paragraf 166 wäre deshalb ein wichtiges Zeichen für mehr Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit.