Wie geht man in Talkshows mit der AfD um? In der Vergangenheit sind hier viele Fehler gemacht worden. Bei Markus Lanz lieferte sich Kevin Kühnert jetzt einen langen Schlagabtausch mit dem AfD-Politiker Guido Reil. Sein Auftritt ist ein Paradebeispiel, wie man mit Rechten redet.

Die AfD gibt es nun seit sechs Jahren. Und seit sechs Jahren herrschen Unbeholfenheit und Ratlosigkeit darüber, wie medial mit ihnen umgegangen werden soll. Zu oft ging die Doppelstrategie der Partei auf, durch Provokationen und Tabubrüche mediale Aufmerksamkeit zu generieren, während sie zeitgleich gegen die „Systempresse“ agitiert. Den Reden und Tweets von Gauland und Co. wurde durch eine häufig reflexartige Berichterstattung zu einer immensen Reichweite verholfen. Je radikaler die Partei wurde, desto mehr Medienpräsenz bekam sie.

Hinzu kam die Themensetzung der Polit-Talkshows: Islam, Flüchtlinge und Kriminalität dominierten lange Zeit die Talk-Sendungen. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, ging im vergangenen Jahr so weit, den Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen vorzuwerfen, sie hätten dabei geholfen, die AfD bundestagsfähig zu machen. Er forderte ein Jahr Talkpause im deutschen Fernsehen.

Vorsicht vor dem Underdog-Effekt

Die Vorstellung, man könne die AfD bei Will oder Maischberger im Studio „entzaubern“, wenn man nur genügend Gäste anderer Parteien einlädt, die den AfD-Politikern widersprechen, empört die Köpfe schütteln und sie mit Zitaten ihrer Parteimitglieder konfrontieren, dürfte heute eigentlich niemand mehr haben. Das mag im Sinne der Kritik und Aufklärung zwar gut gemeint sein – es ist allerdings fraglich, ob das beim Zuschauer auch wirkt. Denn wenn alle Gäste geschlossen gegen einen anreden, erzeugt das beim Zuschauer leicht Sympathien für den „Underdog“. Und genau diesen Effekt macht sich die Partei zu nutzen. Sie stilisiert sich als Opfer, die im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen unfair behandelt würden. Als Außenseiter, die noch sagen, was nicht mehr gesagt werden dürfe. Alle gegen uns – gerade bei Protestwählern kommt das gut an. Die Talksendungen waren zu oft unfreiwillige Erfüllungsgehilfen dieser PR-Strategie.

Es gibt Hinweise darauf, dass in der Berichterstattung über die AfD Vieles besser geworden ist. Eine Langzeitstudie der Otto Brenner Stiftung konnte zeigen, dass Journalisten nicht mehr über jedes Stöckchen springen, dass die AfD ihnen hinhält. Stattdessen wird häufiger bewusst reflektiert, welche Themen wirklich berichtenswert sind – etwa Enthüllungen über Spendenaffären oder Verbindungen ins rechtsradikale Lager.

Wenn man schon einen AfD-Politiker zu Lanz einlädt, dann sollte man ihm einen Kevin Kühnert gegenübersetzen

Ob, wann und wie man mit Rechten redet, darüber lässt sich lange streiten. Wie man unaufgeregt, aber entschlossen, rhetorisch wie inhaltlich brillant, mit einem AfD-Politiker redet, hat der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert gerade bei Markus Lanz demonstriert.

Er geriet in einen langen Schlagabtausch mit dem AfD-Europakandidaten Guido Reil über Klimakrise, Mietnotstand, Fachkräftemangel und die EU. Dabei ist ihm gelungen, was man in Talkshows zu selten sieht: Zusammen mit Lanz stellte er Reil inhaltlich, klar und nüchtern, bei Themen, die eben nicht ganz oben auf der AfD-Agenda stehen – und konnte so dessen Ahnungslosigkeit für jeden sichtbar offenlegen.

Das Zusammentreffen von Kühnert und Reil hat eine besondere Brisanz. Denn Guido Reil war 26 Jahre lang aktives Mitglied der SPD und trat 2016 medienwirksam in die AfD ein. Der ehemalige Vorzeige-Sozialdemokrat wird nun von seiner Partei vorangeschickt, um bei enttäuschten Arbeitern auf Wählerfang zu gehen. Ehemaliger Steiger im Bergwerk, Gewerkschafter und Betriebsrat, kommt aus dem Ruhrpott und spricht auch so. Guido Reil ist ein Typ, den seine Anhänger wohl beschreiben würden als „einen, der es sagt, wie es ist“. Er sagt Sachen wie: „Wo macht die SPD denn noch Politik für die Minderheiten? Minderheiten, die männlich sind, mit ihren Händen arbeiten, auf Frauen stehen, Fleisch essen und Diesel fahren?“

„Mit ein bisschen Blaumann-Rhetorik daherzukommen, macht noch keine Politik für Arbeiter“

Bei Lanz versucht er zunächst noch, sich mit dem ehemaligen Genossen Kühnert gut zu stellen, nennt ihn das „größte politische Talent der SPD“ und lobt seine NoGroKo-Kampagne. Der gibt sich unbeeindruckt und bleibt kühl. Da versucht Reil dann doch, sich von Kühnert abzugrenzen – er sei schließlich ein paar Jahre älter, habe mehr Lebenserfahrung und, im Gegensatz zu Kühnert, eine echte Arbeiter-Vita. Der bodenständige und erfahrene „Kumpel“ gegen den naiven und weltfremden Idealisten also. Kühnert kontert:

„Mit ein bisschen Blaumann-Rhetorik daherzukommen, […] macht noch keine Politik für Arbeiter. […] Sie sind mit ihrer Biografie das Feigenblatt für eine Partei, die von neoliberalen Wirtschaftsprofessoren gegründet wurde und von denen heute auch angeführt wird. Dafür werden Sie instrumentalisiert und jetzt mit einem Sitz im Europaparlament belohnt.“ 

Kühnert nutzt jede Möglichkeit, um über das mitnichten sozial-gerechte Programm der AfD aufzuklären und Reil mit seiner Lösungs-, Inhalts- und Ahnungslosigkeit zu konfrontieren. Er zeigt auf, wie die AfD die soziale Frage durch die nationale ersetzt und „Ungleichheit nicht als einen Konflikt zwischen Oben und Unten, sondern als einen Konflikt zwischen Außen und Innen betrachtet“. Jeder Versuch Reils, den Spieß umzudrehen und Kühnert mit SPD-Versagen zu konfrontieren, läuft ins Leere. Kühnert ist schließlich selbst ein entschiedener Kritiker seiner Partei.

Zum Schluss bleibt der Eindruck eines unvorbereiteten, überforderten und renitenten Guido Reil, der einer 40-minütigem Diskussion über politische Sachfragen nicht gewachsen ist. Ein Mann, der die menschengemachte Klimakrise anzweifelt und die EU als „teuerste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Weltgeschichte“ bezeichnet. Der als Arbeiter-Aushängeschild für eine Partei steht, die weder Mindestlohn noch Vermögenssteuern erhöhen will. Ein Mann, der im Mai ins Europäische Parlament einziehen will, mit dem Ziel, dieses abzuschaffen. Ein Mann mit vielen populistischen Phrasen, ohne eine einzige Lösung.

Wenn sie Keiner Nazi nennt, machen sie das halt selbst

Was den medialen Umgang mit Rechten angeht, sind wir nun etwas klüger: Jetzt wissen wir etwa, was passiert, wenn man, wie Lanz und Kühnert, unaufgeregt und sachlich bleibt und auf moralische Empörung verzichtet. Den Nazi-Vorwurf gegen sich brachte Reil nämlich irgendwann völlig unaufgefordert selbst ins Spiel: „Sie können Ihre Geschichten erzählen. Aber wenn ich meine Geschichte erzähle bin ich ein Nazi.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte keiner dieses Wort auch nur angedeutet.

Auf die Opfer-Inszenierung will Reil einfach nicht verzichten: So soll er sich nach der Sendung noch über eine unfaire Behandlung durch das ZDF beschwert haben. Die ZDF-Redakteure hätten ihn vor der Sendung gezielt nach seinen Schwächen gefragt. Mit Kühnert hätten sie sich dagegen abgesprochen: „Das war eine ganz miese Tour.“

Für Guido Reil war der Auftritt bei Lanz eine Blamage. Das sahen selbst seine eigenen Anhänger so. Nach TV-Auftritten von AfD-Politikern stellen die eigentlich immer vorteilhaft zusammengeschnittene Videos der Sendungen auf YouTube, mit martialisch anmutenden Titeln wie: „Weidel zerlegt Oppermann“ oder „Meuthen teilt heftig aus“. Ein solches Video sucht man diesmal vergebens.