Unser Kolumnist Alexander Jendretzki bekommt von sozialen Medien miese Laune. Für seinen Text ist er noch einmal in sich gegangen und zu einer differenzierteren Einschätzung gelangt: Facebook, Twitter und Instagram unterscheiden sich gewaltig – in der Art der miesen Laune, die sie bereiten.

Es gibt viele gute Gründe, den eigenen Facebook-Account zu löschen: Datenmissbrauch, Fake News, unterbezahlte und traumatisierte Content-Moderatoren, diese nervigen Bilder mit Inspirationssprüchen oder das Beziehungsstatus-Update deines Ex-Freundes. Aber ich will ehrlich sein: Als ich vor fünf Jahren meinen Account gelöscht habe, spielten diese Dinge keine Rolle. Es ging mir allein um mein Wohlbefinden.

Ich steckte in einer depressiven Episode fest, ging nicht viel vor die Tür und wusste nicht wohin mit mir und meinem Leben. Während ich eigentlich an meinen Uni-Arbeiten schreiben sollte, verbrachte ich viel Zeit auf Facebook. Ich klickte mich durch die Urlaubs-, Essens- und Partyfotos alter Schulfreunde, verflossener Liebschaften oder Personen, von denen ich gar nicht mehr genau wusste, wie sie in meine Freundesliste geraten waren. Menschen, deren Gesichter ich jeden Tag auf dem Bildschirm sah und mir deshalb einbildete, sie hätten auch nur die geringste Relevanz für mein Leben.

Bei diesen Menschen schien es bestens zu laufen. Klar, dass Facebook-Chroniken keine Lebenswirklichkeiten abbilden, dass die Leute nicht jeden Tag am Strand liegen, Sushi essen oder „total verliebt“ mit der Partnerin vor der Kamera knutschen – sowas weiß man ja eigentlich. Aber wenn es dir wirklich schlecht geht, dringt dieses Wissen nicht durch. Alle leben das gute Leben, nur du trittst auf der Stelle und kommst dir wie der größte Versager vor. Ich wusste damals sehr genau, dass mir Facebook nicht guttat. Und dennoch konnte ich nicht aufhören, durch die Leben anderer Menschen zu scrollen und alles, was ich dort fand, gegen mich selbst zu verwenden.

Da half nur eins: Ich musste meinen Account löschen. Damit waren selbstverständlich meine Depressionen nicht geheilt. Aber die Momente der selbstdestruktiven Abwertungsspirale blieben aus, und das machte einen wohlwollenden Blick auf mich selbst und mein Leben um einiges einfacher. Ich bin noch heute überzeugt: Social Media ist pures Gift für depressive Menschen. Und mit dieser Einschätzung bin ich nicht allein.

Nun sind Depressionen und Social Media sicherlich ein Spezialthema, ein Sonderfall. Aber längst nicht nur Depressive sind von Selbstwertproblemen, Unzufriedenheit, Neid, verzerrter Körperwahrnehmung, Traurigkeit – oder eben einfach mieser Laune – durch soziale Mediennutzung betroffen. Es gibt jedenfalls reichlich Studien, die einen negativen Einfluss von sozialen Medien auf Wohlbefinden und psychische Gesundheit nahelegen. (z.B. hier, hier, hier und hier) 

Facebook – wo seid ihr denn alle?

Genaugenommen ist mein Facebook-Account gar nicht gelöscht – er ist bloß deaktiviert und kann jederzeit wiederbelebt werden. Ich möchte wissen, wie sich die Plattform in den vergangenen fünf Jahren verändert hat, also reaktiviere ich mein Profil.

Und da sind sie noch: meine Online-Freunde, ohne die ich so gut leben konnte. Als wäre ich nie weggewesen. Ich erkenne sogar noch viele der Profilbilder wieder: Es sind dieselben Profilbilder wie vor fünf Jahren. Überhaupt wirkt Facebook reichlich trostlos und verlassen. Ich klicke mich durch viele Geisterprofile, auf denen nur noch die alljährlichen Geburtstagsgrüße stehen. Die Accounts vieler Klassenkameradinnen und Klassenkameraden haben als letzten Eintrag ein Hochzeitsbild oder ein Babyfoto (Facebook, Du bist alt geworden). Danach verliert sich jede Spur. Wo sind denn nur alle?

Mir scheint, auch die aktiven Nutzer posten weniger bereitwillig Privates: Weniger Urlaubs– und Partybilder, mehr Artikel und Petitionen oder, aus irgendeinem Grund in meiner Freundesliste besonders beliebt: Aufrufe aus dem Tierheim. Allein die über 50-Jährigen posten noch überwiegend ihr Privatleben.

Die wenigen Gleichaltrigen, die noch exzessive Selbstdarstellung betreiben, wirken dagegen irgendwie traurig und hängengeblieben. Als hätte ihnen niemand Bescheid gesagt, dass die Party vorbei ist, während sie sich noch mit geschlossenen Augen auf der Tanzfläche um sich selbst drehen.

Ich klicke mich bis zwei Uhr nachts durch die Profile, als mich eine alte Schulfreundin, bei der ich mich schon viel zu lange nicht gemeldet habe, anschreibt: „Huhu, wieder hier?“ Mist, ich wurde entdeckt! Offensichtlich habe ich vergessen, die Chat-Funktion auszuschalten. Da erst merke ich, dass ich gerade drei Stunden ununterbrochen auf Facebook verbracht habe und für einen Moment stellt sich mein altbekannter Facebook-Kummer wieder ein.

Ich schicke ihr ein auf dem Kopf stehendes Lächel-Emoji, logge mich schnell aus und deaktiviere meinen Account erneut. Ich will nicht ausschließen, es in zwei, drei Jahren noch einmal zu probieren. Vielleicht halte dann ja länger als drei Stunden durch.

Klar, man könnte Facebook weiterhin passiv, als Informationsmedium nutzen, wie es so viele weiterhin tun. Wäre da nicht die Kommentarfunktion: Das tolle am Internet ist ja, dass jeder mitmachen kann – das schlimme am Internet ist, dass auch jeder mitmacht

Die durchschnittliche Reaktion eines Offline-Lesers auf einen Zeitungsartikel reicht wahrscheinlich von „Aha, interessant, aber wenig überraschend“ bis „Ja, da kann man mal drüber nachdenken“. Der durchschnittliche Facebook-Kommentar auf denselben Artikel reicht dagegen von „Noch nie in meinem Leben so einen Schwachsinn gelesen!1!!“ bis „Habt ihr sie noch alle?! Die reinste Propaganda hier“.

Auf Facebook ist man immer nur einen Klick von Stammtischparolen, Trollen, Hass und Hetze entfernt: Gerade erst wurde bekannt, dass die AfD die wirkmächtigste Partei auf Facebook ist. Etwa 85 Prozent aller auf Facebook weiterverbreiteten Beiträge von deutschen Parteien stammen von der AfD.

Und ja, sowas macht mir miese Laune.

Twitter – wenn der Shitstorm tobt

Dann doch lieber Twitter. Denn Twitter sei das Facebook mit Abitur, habe ich mal gelesen. Der typische deutsche Twitter-Nutzer ist zwischen 18 und 29 Jahren alt, hat Abitur und ein abgeschlossenes Studium, wohnt in der Großstadt und ist politisch eher links-liberal eingestellt. Auf Twitter tummeln sich Journalistinnen, Politiker und Wissenschaftlerinnen. Hier interessiert sich niemand für deinen letzten Kroatien-Urlaub oder dein Avocado-Toast, hier zählt deine Meinung, deine Haltung. Die präsentiert man am besten schon in der Kurzbio: Sozialdemokratin, Feminist, säkularer Agnostiker, ordoliberale Kommunitaristin für die Helmpflicht und gegen Vorratsdatenspeicherung.

Ich kenne Twitter schon etwas länger als passiver, beobachtender Nutzer. Die Plattform hat viele Vorteile: Sie ist der schnellste Informationslieferant, schneller als jede Nachrichtenagentur und ermöglicht eine Vernetzung mit weltanschaulich Gleichgesinnten, wie kaum ein anderes Medium. Eine Goldgrube für Politik-, Gesellschaft- und Zeitgeistinteressierte – hier gibt es Leute, denen zu folgen sich wirklich lohnt.

Doch ob Twitter zur vernünftigen Diskursplattform taugt, da bin ich skeptisch. Es gibt genau zwei Arten von politischem Austausch auf Twitter: Menschen, die von etwas überzeugt sind, posten Beiträge für Menschen, die diese Überzeugung ohnehin schon teilen. Dann geht es darum, diese Überzeugung noch pointierter, gerne auch ironischer, auszudrücken, um von den anderen Überzeugten anerkannt zu werden.

Und es gibt die vielen Scheindiskussionen. Der Kontrahent wird zum Faschisten oder zum linksgrünversifften Gutmenschen erklärt. Man versteht sich absichtlich falsch, verdreht die Worte des anderen und rückt keinen Millimeter von seinem Standpunkt ab. Die Möglichkeit, sich von einem besseren Argument überzeugen zu lassen, scheint auf Twitter nicht vorgesehen zu sein. Die Filter-Bubble macht uns einfältig.

Während mich auf Facebook die rechten Pöbler aufregen, sind es auf Twitter zu oft Personen, die ähnliche Ansichten vertreten wie ich. Denn sie tun es auf eine selbstgerechte, überhebliche und moralistische Art, die der Sache selten zuträglich ist.

Auf Twitter lässt sich das soziale Distinktionsverhalten Linker hervorragend studieren. Die großen Shitstorms, die ich mitbekommen habe, seit ich auf Twitter bin, trafen erklärte Antifaschisten, denen von anderen erklärten Antifaschisten Faschismus vorgeworfen wurde. Wenn Twitter-Nutzer, die für ihr Engagement gegen Rechtsradikale bekannt sind, wie der deutsch-israelische Komiker Shahak Shapira, der Cartoonist Ralph Ruthe oder die Journalistin Anja Rützel, von einer kleinen, aber sehr lautstarken Gruppe von radikal identitätspolitschen Linken als Nazis oder Rassisten beschimpft werden, werden diese Begriffe so sehr verharmlost, dass sie ihre Wirkung zu verlieren drohen, wenn wir sie wirklich brauchen.

Wenn so ein selbstgerechter Shitstorm tobt, verliert die Vernunft. Was bleibt, wenn sich die Scheiße legt, ist, ja, leider auch hier, miese Laune.

Instagram – das Leben der Anderen

Instagram ist für mich Neuland. Ich kenne aber die gängigen Klischees und Vorurteile: Von Blendern und Selbstinszenierern, Fitness-Gurus, Healthfood-Influenzern und photogeshopten Modelkörpern im Maledivenurlaub mit Schleichwerbungs-Drink in der Hand. Instagram gilt als Jahrmarkt menschlicher Eitelkeiten, als perfekt ausgeleuchtete und mit Sonnenschein-Filter versehe Scheinwelt. Aber nach zu viel Twitter kann mir ein wenig apolitischer Hedonismus nicht wehtun, denke ich, und erstelle einen Account.

Meine ersten Erfahrungen auf der Plattform bestätigen die Vorurteile. Instagram scheint heute hauptsächlich für all das zuständig zu sein, was mir damals auf Facebook soviel Kummer bereitet hat. Wer Selfies, Ausflugs- und Partybilder teilen will, ist offensichtlich hier hin umgezogen. Dabei ist Instagram sogar noch reduzierter auf die Postkarten-Momente: keine schwierigen und unangenehmen Themen, hier darf es allein um das süße, süße Leben gehen. Ich entdecke ein paar alte Freunde, deren Facebook-Profile gähnend leer waren und bin nun froh zu sehen, dass ich mir um sie keine Sorgen machen muss: Sie haben noch immer viele Freunde, machen genügend Wochenend-Trips und trinken ausreichend Smoothies.

Bei einer Studie der britischen Royal Society for Public Health zum Einfluss sozialer Medien auf das Wohlergehen junger Menschen schnitt Instagram von allen Plattformen am schlechtesten ab. Die Hälfte der Jugendlichen gab an, Instagram löse bei ihnen Angstgefühle und Nervosität aus. 70 Prozent fühlten sich durch die App unwohler in ihrem Körper.

Das wundert mich nicht: Instagram ist voll von Nachwuchs-Beauty-Bloggern, die gerade die Schönheitsvorstellungen einer ganzen Generation verderben. Wenn du hier ein Foto hochlädst, empfiehlt dir die App automatisch eine Auswahl von Filtern. Das ist eine subtile Art zu sagen: Dein Leben ohne Filter ist nicht schön genug.

Auf jeden Fall ist Instagram kein Ort für Melancholiker. Die Plattform ist so aufdringlich gut gelaunt und optimistisch, dass es schwer erträglich ist: Unter den zehn meist verwendeten Hashtags sind Love, Happy, Cute, Beautiful und Instagood. #Love kommt auf 1,2 Milliarden Posts – #mieselaune bloß auf 1500. Keine App für mich.