Zwar wächst der internationale Druck, die Todesstrafe abzuschaffen, dennoch werden weltweit mehrere Tausend Menschen hingerichtet. In einem Gastbeitrag klärt der Publizist Helmut Ortner über die Hintergründe auf und plädiert für die konsequente Umsetzung der Menschenrechte.

Hinrichtungen sind immer grausam, ganz gleich, wie ein Verurteilter stirbt. Trotzdem werden im 21. Jahrhundert noch Menschen gehängt, erschossen, enthauptet, in den Tod gespritzt.

Immerhin: Jedes Jahr streichen weitere Staaten diese Strafe aus ihren Gesetzesbüchern. Waren es 1987 lediglich 69 Staaten, die die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft hatten, sind es 30 Jahre später 142 und damit zwei Drittel aller Staaten. Das ist ein wichtiger Erfolg. Dennoch sitzen 2018 (hierzu liegen die letzten Zahlen vor) weltweit mehr als 19.000 Menschen in Todestrakten, weil Regierungen immer noch auf diese Form der Bestrafung setzen. Die Hinrichtungs-Methoden, die angewendet werden, umfassen das gesamte Tötungs-Instrumentarium: vom mittelalterlichen Enthaupten, dem Erschießen, dem Tod durch den Strang am Galgen, dem elektrischen Stuhl, bis zur klinischen Giftspritze, etwa in den USA.

Laut der Menschenrechts-Organisation Amnesty International wurden 2018 in 20 Staaten mindestens 690 Menschen hingerichtet. Dabei waren vier Länder für nahezu 80 Prozent der dokumentierten Hinrichtungen verantwortlich. An erster Stelle stand der Iran (253), gefolgt von Saudi-Arabien (149), Vietnam (85) und dem Irak (52).

Tatsache aber ist: In zahlreichen Ländern veröffentlichen die Regierungen keinerlei Informationen über ihre Anwendung der Todesstrafe. Im Gegenteil: Dort, wo die Öffentlichkeit davon erfahren könnte, ist jede Form der Veröffentlichung untersagt und wird mit Strafe und Repression geahndet. Der Einsatz der Todesstrafe wird als Staatsgeheimnis eingestuft. Wer Nachforschungen anstellt, wird als Staatsfeind verfolgt und angeklagt. In Staaten wie China, Vietnam, Nordkorea, Jemen, Malaysia ist es vor diesem Hintergrund unmöglich, verlässliche Angaben zu bekommen.

Ob die Hinrichtungszahlen tatsächlich gesunken sind, kann deshalb niemand verlässlich sagen. Informationen gibt es nur bruchstückhaft, Statistiken werden manipuliert oder zensiert. Die Dunkelziffer ist hoch, der Informationswert indes niedrig, zumindest lückenhaft. Dies trifft besonders auf China zu. Informationen über Todesurteile und Vollstreckungen gelten dort als Staatsgeheimnis und werden unter Verschluss gehalten. Fest steht: Nirgendwo werden so viele Menschen hingerichtet wie in China. Es dürften Tausende sein – jedes Jahr.

Quelle: © Amnesty International 

Die Todesstrafe ist ein inhumanes Relikt der Vergangenheit

Die Todesstrafe wird in Diktaturen gegen Staatsfeinde und Oppositionelle vollstreckt, unter dem Vorwand, es ginge um die Wahrung des Rechts-Friedens und der Rechts-Ordnung. In anderen Staaten wird die Todesstrafe als Sanktion für schwerste Verbrechen vollstreckt – im Glauben daran, Gerechtigkeit zu sprechen. Zwar gibt es eine globale, rechtliche Übereinkunft über humanistische Standards und universelle Werte, die in der UN-Menschenrechtscharta formuliert sind, doch das ist kein völkerrechtlich bindender Vertrag.

Die Todesstrafe ist willkürlich, unwirksam, anachronistisch und menschenverachtend. Es sind vor allem folgende drei zentrale Argumente, die für deren Abschaffung sprechen. Erstens: Die Hinrichtung ist es eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Form der Bestrafung. Sie verletzt das grundlegende Menschenrecht auf Leben. Zweitens: Die Wirksamkeit der Abschreckung ist nicht nachgewiesen. Bislang gibt es keinen überzeugenden Beweis dafür, dass die Verankerung der Todesstrafe im Gesetz und ihr Vollzug eine bleibende Senkung der Mord-Raten – oder jeder anderen Straftat, die mit Todesstrafe geahndet wird – bewirkt. Und Drittens: Die Todesstrafe wird von fehlbaren Menschen verhängt. Das impliziert in letzter Konsequenz auch Fehlurteile. Unschuldige Menschen werden hingerichtet.

Wie aber argumentieren die Verteidiger der Todesstrafe? Sie räumen allenfalls ein, dass Justiz-Irrtümer möglich, aber doch unerheblich sind. Dass man Fehlurteile hinnehmen kann, sofern sie nur durch menschliche Fehlbarkeit verursacht sind. Der statistische Befund bezeugt jedoch, dass Justizirrtümer keineswegs selten sind und dass ein Todesurteil sehr stark von der Klasse, vom Status und der ethnischen Zugehörigkeit des betreffenden Täters, den jeweiligen politischen Verhältnissen sowie den Meinungen und dem Charakter der das Begnadigungsrecht ausübenden Macht abhängt.

Rechtssysteme werden letztlich von Menschen getragen, hier gehen subjektive Urteile ein, die wiederum stark von äußeren Faktoren beeinflusst werden. Etwa: An welchem Ort findet der Prozess statt? Steht gerade (beispielsweise in einem US-Bundesstaat) eine wichtige Wahl an? Welcher Täter ist zurechnungsfähig, wer verdient Milde? Solche Unwägbarkeiten können – das zeigt die Wirklichkeit – ein Urteil beeinflussen. „Auf dem Weg von der Theorie in die Praxis nimmt die Todesstrafe unweigerlich ein Maß an Willkür an“, stellt der britische Rechts-Historiker Richard J. Evans nüchtern fest.

Gibt es Hoffnung auf eine Welt ohne Todesstrafe?

Es ist ein weltweiter Trend zur Abschaffung der Todesstrafe zu registrieren. Eine deutliche Mehrheit aller Staaten verzichtet auf die Anwendung der Todesstrafe. Dennoch ist der entscheidende Durchbruch auf dem Weg zur weltweiten Ächtung und Abschaffung der Todesstrafe noch nicht gelungen. So ist sie Bestandteil der auf Religion basierenden Rechtskultur der islamischen Staaten, des Mittleren Ostens, sowie autoritärer Diktaturen in Asien und Afrika. Nirgendwo werden mehr Menschen exekutiert als in China, aber auch rechtsstaatliche Demokratien wie die USA und Japan halten nach wie vor an der Todesstrafe fest.

Quelle: © Amnesty International

Eine entscheidende Rolle für den Erfolg der weltweiten Anti-Todesstrafen-Bewegung spielen die Vereinigten Staaten, da es sich hierbei um ein Land handelt, das sich selbst als Modell einer liberalen, offenen Demokratie und als Hüter der Menschenrechte betrachtet.

Einige Rechtsexperten haben erhebliche Zweifel, ob es in einer bundesstaatlichen Struktur – also autonom-gesetzgeberischen Staaten wie den USA – überhaupt möglich ist, eine einheitliche Rechtskultur zu etablieren, denn obwohl die Todesstrafe unter Bundesrecht verhängt werden kann, ist sie in der Praxis eine Sache der Gesetzgebung der einzelnen US-Staaten. Kritiker betonen auch die populistische Haltung vieler konservativer Politiker, exemplarisch personalisiert in Präsident Trump, der ein glühender Befürworter der Todesstrafe ist.

Es braucht mehr Aufklärung

Was es braucht, ist eine Aufklärungs-Kampagne, ein gesellschaftliches Signal zur Abschaffung der Todesstrafe. Menschenrechtler, Strafrechtler, Jura-Professoren – sie alle sollten sich engagieren und dazu beitragen, dass sich Einstellungen zur Todesstrafe verändern und Gesetzes-Initiativen zu deren Abschaffung auf den Weg gebracht werden. In juristischen Vereinigungen und Verbänden, den politischen Gremien und Parteien, aber auch in den Medien – überall braucht es Unterstützer und Verbündete.

Wir wissen, wie stark heute die Massen-Medien – Fernsehen, Radio, Zeitungen und Social-Media-Formate – die Meinung und Einstellung von Menschen beeinflussen und prägen. Gerade, wenn es um das Thema Verbrechen und Strafe geht, sind die emotionalen Projektionen sichtbar und wirksam.

Besonders Juristen und Wissenschaftler sind also aufgerufen, aus der begrenzten Fachöffentlichkeit herauszutreten und ihre professionelle Kompetenz und Akzeptanz zu nutzen, um im besten Sinne medien-wirksam zu werden und aufklärend zu wirken.

Bis zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe ist es noch ein langer Weg: Verfestigte Einstellungen und tradierte Vorurteile, schwerfällige Parteien und Politiker, ignorante Medien – das alles lässt sich nicht über Nacht ändern. Es braucht einen langen Atem auf dem Weg von der Kultur der Vergeltung hin zu einer rationalen und humanen Strafrechtspraxis.


Zum Weiterlesen: Wenn der Staat tötet – Eine Geschichte der Todesstrafe“, Mit einem Nachwort von Thomas Fischer. Theiss Verlag / WBG, Darmstadt 2017., 236 S., geb., 22,95 €