Kirche und Staat sind dem Gesetz nach voneinander getrennt. Trotzdem genießen die Kirchen in Deutschland eine Vielzahl an Privilegien und haben einen großen Einfluss auf die Politik und unser Leben. Vier Beispiele, wie eng die Bundesrepublik noch mit den christlichen Kirchen verknüpft ist.

Leere Bänke in den Gottesdiensten, Priestermangel und überalterte Gemeinden – die Zahl der kirchlich organisierten Christen in Deutschland nimmt stetig ab. Waren in den 1950er Jahren noch über 95 Prozent der Deutschen Mitglied in einer Kirche, sind es heute weniger als 60 Prozent. Schon jetzt gibt es mehr Konfessionsfreie als Katholiken oder Protestanten – und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie die absolute Mehrheit in der Gesellschaft stellen.

Während die Bevölkerung den Kirchen zunehmend den Rücken kehrt, hat die Politik bislang kaum Konsequenzen aus dem anhaltenden Säkularisierungsprozess gezogen. Zwar wurde die Trennung von Staat und Kirche bereits vor 100 Jahren in der Weimarer Verfassung festgehalten und später auch in das deutsche Grundgesetz übernommen. Tatsächlich aber ist dieser Verfassungsauftrag nie konsequent erfüllt worden. Nach wie vor sind die Kirchen mit dem Staat verflochten und nehmen durch gezielte Lobbyarbeit Einfluss auf politische Entscheidungen. Und noch immer basieren zahlreiche Gesetze auf christlichen Glaubensüberzeugungen.

Wie weitreichend die damit einhergehende Verletzung der weltanschaulichen Neutralität des Staates ist, zeigen folgende vier Beispiele.

Religionsunterricht

Bei kaum einem anderen Thema wird die enge Zusammenarbeit von Staat und Kirche so deutlich wie beim christlichen Religionsunterricht. Denn die Kirchen bestimmen nicht nur über die Inhalte der Lehrpläne, sondern auch über die Anstellung und Entlassung von Religionslehrern. Der Staat achtet bloß auf die rechtmäßige Durchführung des Unterrichts und sorgt sich um die Bezahlung der Lehrer. Für alles Weitere sind die Kirchen verantwortlich.

Da der Religionsunterricht in den meisten Bundesländern konfessionsgebunden erfolgt, werden die Schülerinnen und Schüler je nach zugeschriebener Religionszugehörigkeit getrennt und gemäß den Glaubenslehren der Kirchen unterrichtet. Gegenstand des Unterrichts sind nämlich nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch religiöse Bekenntnisse. Neben Wissen über den christlichen Glauben, wird der Glaube selbst vermittelt.

Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht ist – wie er derzeit in Deutschland durchgeführt wird – eine absolute Ausnahme in Europa. Einige Länder wie Dänemark oder die Niederlande haben den Bekenntnisunterricht inzwischen zu einem religionskundlichen Unterricht weiterentwickelt. Frankreich und Luxemburg haben ihn sogar ganz abgeschafft.

Kirchliches Arbeitsrecht

Die beiden Kirchen sind mit rund 1,3 Millionen Mitarbeitern die zweitgrößten Arbeitgeberinnen in Deutschland. Zwar werden viele ihrer Einrichtungen vollständig aus öffentlichen Mitteln finanziert – dennoch gilt dort ein eigenes, kirchliches Arbeitsrecht: Statt dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) wird nämlich der sogenannte Dritte Weg praktiziert, der den Kirchen vielfältige Sonderrechte zugesteht.

Für die Beschäftigten hat das weitreichende Konsequenzen: Sie müssen nicht nur auf wichtige Arbeitnehmerrechte wie das Streikrecht, Tarifverträge oder auf einen Betriebsrat verzichten. Darüber hinaus wird erwartet, dass sie sich auch in ihrem Privatleben nach den Moralvorstellungen der Kirchen richten. Offen gelebte Homosexualität, die Wiederheirat nach einer Scheidung oder ein Kirchenaustritt können mit einer Kündigung geahndet werden. Mitglieder nicht-christlicher Religionsgemeinschaften und Konfessionsfreie werden oftmals gar nicht erst für ein Bewerbungsgespräch eingeladen.

In der Vergangenheit kam es immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, in denen gegen die Kirche geklagt wurde. Und tatsächlich wurde vielen Klägern inzwischen recht gegeben. So urteilte das Bundesarbeitsgericht (BAG) erst vor Kurzem zugunsten eines Chefarztes, der von seinem kirchlichen Arbeitgeber gekündigt worden war, weil er ein zweites Mal geheiratet hatte. Das Gericht wertete die Kündigung als verbotene Diskriminierung.

Einzug der Kirchensteuern durch den Staat

Eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kirchen in Deutschland sind die Kirchensteuern. Derzeit erhalten sie mehr als elf Milliarden Euro pro Jahr. Die Beiträge werden dabei nicht von den Kirchen selbst, sondern von den vom Staat eingezogen.

Wer Steuern zahlen muss, lässt sich der Lohnsteuerkarte entnehmen, auf der die Konfessionszugehörigkeit vermerkt ist. Und genau da liegt ein gravierendes Problem. Denn im Grundgesetz heißt es, dass niemand gezwungen werden darf, sein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis zu offenbaren. Mit dem Eintrag der Konfessionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte werden jedoch nicht nur staatliche Behörden, sondern auch sämtliche Arbeitgeber über die Religionszugehörigkeit oder Konfessionsfreiheit ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kenntnis gesetzt.

Staatsleistungen

Zusätzlich zu den Kirchensteuern und den Geldern, mit denen der Staat christliche Wohlfahrtsverbände finanziert, erhalten die Kirchen sogenannte Staatsleistungen. Pro Jahr überweisen die Bundesländer (mit Ausnahme von Bremen und Hamburg) derzeit über eine halbe Milliarde Euro an die Kirchen. Dabei handelt es sich um eine Entschädigungszahlung, die auf Enteignungen von Kirchengütern im Zuge der Reformation und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreichen.

Wofür und wie die Kirchen das Geld verwenden, müssen sie nicht offenlegen. Laut eigenen Angaben werden mit den Leistungen Kosten für Personal und kirchlichen Bedarf gedeckt. Auch konfessionsfreie Menschen zahlen also mit ihren Steuern die Gehälter von Bischöfen – ob sie das wollen oder nicht.

Dabei müsste das nicht so sein: In der Weimarer Verfassung von 1919 wurde nämlich ausdrücklich festgelegt, dass die historischen Dotationen an die Kirchen abzulösen sind. Obwohl die Ablöseforderung ins Grundgesetz übernommen wurde und die Enteignungen längst beglichen wurden, fließt Jahr für Jahr eine steigende Summe an die Kirchen.