Sogenanntes CBD-Gras verspricht Entspannung ohne Rausch. Der Verkauf in Deutschland liegt im rechtlichen Graubereich, trotzdem kann man es in mehreren Berliner Läden kaufen. Unser Autor hat sich seinen Ängsten gestellt und es ausprobiert.
Es ist ein Samstag in Berlin Kreuzberg und einer der ersten warmen Frühlingstage des Jahres. Die Cafés und Parks sind voll mit jungen und hippen Menschen. Grasgeruch liegt in der Luft – der gehört im Sommer zur Hauptstadt, wie der Uringeruch in den U-Bahnhöfen. Ich bin unterwegs, um Gras zu kaufen. Nicht bei den vielen Dealern im Görlitzer Park, sondern ganz offen über der Ladentheke, mit Quittung.
Achtung, der folgende Text ist unter der Einwirkung von (wahrscheinlich völlig harmlosen) Drogen entstanden
Eigentlich rauche ich ja gar kein Gras mehr. Meine aktiven Kiffer-Zeiten liegen lange zurück. Denn irgendwann konnte ich keinen Joint mehr rauchen, ohne dabei ein wenig paranoid zu werden: Statt Entspannung oder Euphorie überwogen bei mir bedrückende Gedanken, Angstzustände, Selbstzweifel und Social Awkwardness. Wenn ich in der Öffentlichkeit high war, war ich überzeugt, alle würden mich vorwurfsvoll anschauen: Jeder weiß ganz genau, dass ich gerade stoned bin. Wenn mich ein Nachbar grüßte, dann mit wertendem Unterton. Und wenn er nicht grüßte, dann war das erst recht eine unterschwellige Botschaft.
In den vergangenen Jahren habe ich es dann und wann noch einmal probiert und mir aus einer nostalgischen Verklärung heraus eine geringe Menge Gras besorgt. Was dann folgt, ist fast immer dasselbe traurige Schauspiel: Ich rauche einen kleinen Joint und für einen Moment ist alles gut – meine Gedanken schweifen ab, schwärmen aus, und suchen sich allerlei kreative Assoziationen.
Doch dann packt mich irgendein deprimierender oder beängstigender Gedanke, zieht mich runter, und ich fange an, wenig wohlwollend über mich selbst und mein Leben nachzudenken. Mir wird die Absurdität meiner Existenz auf schmerzhafte Weise bewusst und ich spiele mit dem Gedanken, mein Studium zu schmeißen, meine Freundin zu verlassen und in einem fernen Land neu anzufangen. Während ich schon den Mietspiegel von Rejkjavik, Island, google, fällt mir schließlich wieder ein, wieso ich mit dem Kiffen aufgehört habe. Ich spüle das restliche Gras in der Toilette runter oder bitte meine Freundin, es irgendwo in der Wohnung vor mir zu verstecken.
Mag sein, dass ich als jemand, der ohnehin zu Schwermut neigt, einfach eine ungünstige Disposition für den Graskonsum habe. Aber sehr vielen meiner alten Kiffer-Freunde ist es irgendwann ähnlich ergangen. Die negativen Effekte überwogen die positiven und die meisten gaben das Kiffen auf. Nur ein paar Freunde sind beim regelmäßigen Konsum geblieben.
Schwarzmarkt-Gras wird immer stärker
Tatsächlich hat sich der THC-Gehalt von dem Marihuana und Hasch, das in Europa im Umlauf ist, seit 2006 im Schnitt verdoppelt. Und schon damals hieß es, das Gras, was wir rauchten, sei um ein Vielfaches potenter als das Zeug, das Hippie-Bands in den 60ern besungen hatten. Währenddessen ist der Cannabidiol-Gehalt (kurz CBD: der zweite Hauptwirkstoff von Cannabis) beim Schwarzmarkt-Marihuana gering geblieben.
Anders als das psychoaktive THC bewirkt CBD keinen Rausch, sondern ist für die angstlösende und entzündungshemmende Wirkung von Marihuana verantwortlich. Marihuana mit viel THC und wenig CBD erhöht das Risiko für angst- und psychoseähnliche Zustände und macht bei Langzeitkonsum auch Abhängigkeit, drogeninduzierte Psychosen, Depressionen oder Angststörungen wahrscheinlicher.
Anders so das harmlose CBD-Gras, bei dem der CBD-Gehalt hoch ist und der THC-Gehalt 0,2 Prozent nicht übersteigt. Dieses Gras soll keinerlei berauschende Wirkung mehr haben, stattdessen bloß noch für Entspannung sorgen und gegen Übelkeit, Ängste und Einschlafprobleme helfen. Genau der richtige Stoff für mich, also.
In der Schweiz kann man dieses Cannabis light seit ein paar Jahren völlig legal erwerben – sogar im Supermarkt. In Berlin und anderen deutschen Großstädten machen nun Hanf-Läden auf, die trotz ungeklärter Rechtslage auch CBD-Gras verkaufen. Einer dieser Läden liegt in Berlin Kreuzberg.
„Kann da aus rechtlichen Gründen nichts zu sagen…“
Mein Weg zu dem Laden führt mich durch den Görlitzer Park. Gras bekommt man hier an jeder Ecke. Der Park ist einer der größten und berüchtigtsten Drogenumschlagplätze Deutschlands. In der Vergangenheit kam es hier immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen – zwischen Dealern untereinander oder zwischen Dealern und Kunden. Weder die Null-Toleranz-Politik des ehemaligen Innensenators Frank Henkel (CDU) noch eine eigens eingerichtete Taskforce Görlitzer Park konnte die offene Drogenkriminalität bis jetzt in den Griff bekommen.
Polizei und Ordnungsamt patrouillieren hier zwar täglich. Trotzdem steht an jedem Eingang des Parks eine Gruppe von Dealern und spricht einen an: „Psst… Brauchst Du was?“, fragt mich der geschätzt siebte Dealer am Ausgang des Parks. Ich überlege kurz, ob ich ihm von meinem Vorhaben, gleich um die Ecke Gras im Geschäft zu kaufen, berichten soll, lass es dann aber sein und winke ab: „Heut nicht, danke.“ Er ruft mir noch ein „Was los, Bruder? Ist doch Wochenende!“ hinterher und ich muss lachen.
Nur eine Straßenecke weiter läuft der Drogenkauf ganz anders ab. Hier kann man CBD-Gras ganz einfach im Laden kaufen. Neben dem Marihuana – den getrockneten Blüten der Hanfpflanze – gibt es allerlei CBD-haltige Produkte: Öle, Hanf-Tee, Bonbons, Hautcremes und sogar CBD-Snacks für Hunde. Topseller sind die CBD-haltigen Liquids für die E-Zigarette. Vielleicht ist es die alte Kiffer-Romantik, aber der Gedanke, mein Zeug als Liquid in einer E-Zigarette zu rauchen, fühlt sich irgendwie falsch an. Ich will mein Gras ganz klassisch in einen Joint drehen und rauchen. Also die CBD-Blüten: Die Marken klingen ein bisschen wie die Eissorten von Ben&Jerrys: „Berlin Kush“, „Gelato“ oder „Girl Scout Cookies“.
Ich will mich beraten lassen und berichte dem Verkäufer von meinen unschönen Kiffer-Erfahrungen. Der erklärt mir, dass er aus rechtlichen Gründen nichts zur Wirkung der Blüten sagen darf – er könne sie mir ausschließlich als „Aromaware“ verkaufen. Wir müssen also über das Gras sprechen, als ginge es um eine Duftkerze. Eine skurrile Situation: Der Verkäufer wählt seine Worte sorgsam, verspricht sich manchmal und muss dann über sich selbst schmunzeln.
„Und das macht auch wirklich nicht high?“ – „Die Blüten dürfen nicht zu Rauschzwecken verkauft werden, deshalb kann ich dazu gar nichts sagen…“
„Nicht mal im Konjunktiv?“ – „Ähm… Nein, sorry.“
„Entspannende und medizinische Wirkung?“ – „Kann da aus rechtlichen Gründen nichts zu sagen.“
Neben mir an der Ladentheke hat uns ein anderer Kunde zugehört und schaltet sich ein. Ihm sei es genau so ergangen wie mir: Früher habe er viel gekifft, heute könne er kein Gras mehr rauchen ohne „Paras zu schieben“. Das CBD-Weed helfe ihm, sich zu entspannen. Er empfiehlt mir das „Girl Scout Cookies“ mit sechs Prozent CBD.
Das nehme ich dann auch. Und noch eine Packung mit CBD-haltigen Gummibärchen, die neben der Theke hängen: ein klassischer Quengelwaren-Fehlkauf. Für fünf Gramm Gras zahle ich 35 Euro, die fünf Gummibärchen kosten sieben Euro (diesen Kauf bereue ich sofort). Im Görlitzer Park wäre ich wahrscheinlich günstiger weggekommen.
Polizei Berlin: „Der Verkauf an Konsumenten ist illegal.“
Zuletzt muss ich noch eine Erklärung unterschreiben: Dass ich darüber aufgeklärt wurde, dass die angebotenen Produkte lediglich „gewerblichen, wissenschaftlichen sowie technischen Zwecken“ dienen. Aus meiner Recherche weiß ich: Die Rechtslage ist ganz und gar nicht eindeutig. Während verarbeitete Produkte wie Öle und Salben weitestgehend unproblematisch sind, ist die Legalität der CBD-Blüten fraglich.
In Berlin kam es in letzter Zeit zu mehreren Razzien bei Händlern, die das Gras vertreiben. CBD-Blüten, die überall in der Stadt offen in Spätis verkauft wurden, wurden wegen des Verdachts auf unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln konfisziert. Erst im Januar erklärte die Polizei Berlin in einem Facebook-Post: „Der Verkauf an Konsumenten ist illegal.“ Deshalb also das Rumgedruckse des Verkäufers.
Die Händler wägen sich dennoch in der Legalität – weil eine Verwendung zu Rauschzwecken mit CBD gar nicht möglich sei. Das Cannabis light bleibt eine rechtliche Grauzone, die von Staatsanwaltschaft und Polizei (je nach Bundesland) derzeit noch unterschiedlich behandelt wird. Wer hier recht behält, werden die Gerichte klären müssen.
Auf eine Quittung bestehe ich trotzdem. Die könne ich der Polizei vorlegen, wenn ich durchsucht werden sollte. „Letztens wurden zwei unserer Kunden ‚gebusted‘“, erzählt mir der Verkäufer, „der eine hat seine Quittung vorgezeigt und durfte sein Zeug behalten. Der andere hatte seine Quittung verloren – sein Zeug wurde beschlagnahmt.“ Ob die Polizei mich wirklich in Ruhe lässt, wenn ich die Quittung eines Berliner Hanf-Ladens vorlege? Ich bleibe skeptisch.
Kein Rausch, dafür wohlige Entspannung
Die Gummibärchen esse ich auf dem Rückweg, drei nacheinander, merke absolut nichts und bereue den Kauf jetzt erst recht. Zurück Zuhause packe ich meine „Girl Scout Cookies“ aus und beginne mit dem Selbstversuch.
Das Kiffen zelebriere ich noch immer wie mit 16 Jahren: Die Knospen auspacken und dran riechen, die harzigen Blüten zwischen den Fingern zerdrücken, den Joint drehen, kurz andächtig betrachten und dann anzünden. Ich stelle fest: Das Zeug sieht aus wie Gras, riecht und, ja, es schmeckt auch genauso. Ich werde nostalgisch und lege ein Album auf, das früher jeder Kiffer in seiner CD-Sammlung hatte: Mezzanine von Massive Attack – der Soundtrack zahlloser Stoner-Biografien der 00er Jahre.
Die Wirkung des Entspannungs-Weeds hält sich in Grenzen – wäre ich jetzt abgelenkt, ich würde womöglich gar nichts bemerken. Mir fällt zuerst auf, was alles fehlt: Kein Rausch, keine Lachflashs (auch nicht bei alten Futurama-Folgen: ja, ich habe es ausprobiert), keine Kreativitätssteigerung, kein intensiveres Musikerleben. Kein Gefühl, die eigenen Gedanken seien viel origineller und tiefgründiger, als sie es tatsächlich sind. Aber auch: kein depressives Grübeln, keine Angstzustände und keine Identitätskrise.
Ein leichtes euphorisches „High“ meine ich schon zu spüren. Aber das kann auch meine ausgeprägte Hypochondrie sein. Das Gras wirkt vor allem körperlich. Es entspannt und beruhigt mich. Es fühlt sich wohlig an – wie eine warme Badewanne. Oder wie dieser Moment nach dem Sport, wenn die Couch doppelt so bequem zu sein scheint wie sonst. Ich war noch nie bei der Massage, aber wenn es stimmt, was alle über den Zustand nach einer Massage sagen, dann muss sich das in etwa so anfühlen. Und ich meine schließlich diesen Text so konzentriert wie selten abtippen zu können – mit THC undenkbar.
Tatsächlich ist zumindest die beruhigende und angstlösende Wirkung von CBD gut belegt. Aktuelle Studien unterstreichen das Potenzial des Wirkstoffes zur Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen – abschließende Ergebnisse gibt es nicht. An der Charité wird gerade erforscht, ob die Substanz Menschen mit Psychosen helfen kann. Auch wenn der Wirkstoff noch nicht ausreichend erforscht ist – die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt schon mal grünes Licht: CBD sei im Allgemeinen gut verträglich, es gebe keine Probleme für die öffentliche Gesundheit und keine Hinweise auf eine Abhängigkeit.
Später, nach meinem zweiten Joint, hole ich mir dann noch beim Italiener um die Ecke eine Portion Pasta zum Mitnehmen (eine appetitsteigernde Wirkung wie THC hat das CBD übrigens nicht – der Fresskick bleibt aus). Während ich im Lokal auf meine Bestellung warte, fällt mir auf: Absolut niemand schaut mich wertend und mit unterschwelliger Botschaft an: Keine Paranoia! Das restliche Gras muss ich heute also mal nicht in der Toilette runterspülen.