Sie sind kaum bekannt, obwohl sie Unglaubliches geleistet haben. Wir stellen fünf heldenhafte Menschen vor, denen wir viel zu verdanken haben.
Stanislaw Petrow – Der Mann, der den Dritten Weltkrieg verhinderte
Mitten in der heißen Phase des Kalten Krieges traf Stanislaw Petrow (1939–2017) eine einsame Entscheidung, die die Welt nur knapp vor einer nuklearen Katastrophe bewahrte. Der sowjetische Oberstleutnant trat in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1983 vertretungsweise den Dienst in einem geheimen Luftüberwachungszentrum in der Nähe von Moskau an. Seine Aufgabe bestand darin, im Fall eines amerikanischen Nuklearangriffs den Gegenschlag einzuleiten. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Seiten bis auf die Zähne bewaffnet. Die Sowjetunion rechnete jederzeit mit einem feindlichen Manöver der USA.
Nach vier Stunden ereignisloser Nachtschicht heulten kurz vor Mitternacht plötzlich die Alarm-Sirenen auf: Das computergesteuerte Frühwarnsystem meldete den Abschuss einer US-Rakete in Richtung Sowjetunion. Petrow hätte in dieser Situation eigentlich von einem gegnerischen Angriff ausgehen und binnen weniger Minuten die atomare Vergeltung einleiten müssen – so verlangten es die Vorschriften. Doch er misstraute den Computern und griff zum Hörer, um seine Vorgesetzten über einen Fehlalarm zu unterrichten. Noch während des Telefongesprächs wurden auf den Bildschirmen vier weitere Raketenstarts angezeigt. Entgegen aller Hinweise bewahrte Petrow die Ruhe und hielt an seiner Einschätzung fest: Fehlalarm. Mit seinem Verstoß gegen die Vorschriften rettete er in dieser Nacht womöglich hunderten Millionen Menschen das Leben.
Denn nach wenigen Minuten wurde klar, dass sein Misstrauen gegenüber der Computertechnik berechtigt war: Einen amerikanischen Nuklearangriff auf die Sowjetunion hatte es nie gegeben. Das Frühwarnsystem hatte fälschlicherweise die Reflexionen von Sonnenstrahlen als Raketenstarts eingestuft. Petrows besonnenes Handeln verhinderte somit eine militärische Eskalation mit unvorstellbaren Konsequenzen.
Wie nah die Welt 1983 am Abgrund stand, blieb lange unbekannt. Nicht einmal Petrows eigene Frau wusste, was in jener Nacht geschah. Der Vorfall unterlag zunächst der militärischen Geheimhaltung. Erst zehn Jahre später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, erfuhr die Öffentlichkeit, dass das Schicksal der Menschheit in der Hand eines einzigen Mannes lag. Von seinen Vorgesetzten wurde Petrow für seine Heldentat nie belohnt, sondern wegen fehlender Protokolleinträgen getadelt. Erst 2004 wurde ihm gedankt, als er von der Association of World Citizens („Vereinigung der Weltbürger“) mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Petrow selbst zeigte sich bis zu seinem Tod vor zwei Jahren bescheiden: „Glauben Sie mir: Ich bin kein Held. Ich habe nur meine Arbeit getan.“
Edmund Dene Morel – Initiator der ersten Menschenrechtskampagne
Es war eines der dunkelsten und blutigsten Kapitel der Menschheitsgeschichte: Zwischen 1885 und 1908 befand sich die heutige Demokratische Republik Kongo im Kolonialbesitz des belgischen Königs Leopold II. Unter dem Vorwand, der kongolesischen Bevölkerung Zivilisation und Kultur zu bringen, ließ er das Land grausam ausbeuten. Er hatte es auf wertvollen Kautschuk und Elfenbein abgesehen. Die Berichte von Zeitzeugen der sogenannten Kongogräuel schildern unvorstellbares Grauen. Sie erzählen von staatlich betriebener Sklaverei, massenhafter Verstümmelung und Vergewaltigung, von Folter, Hinrichtungen und millionenfachem Mord. Es wird geschätzt, dass mehr als zehn Millionen Kongolesen – etwa die Hälfte der damaligen Bevölkerung – den Tod fanden.
Dass diese Verbrechen überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit kamen, war Edmund Dene Morel (1873–1924) zu verdanken, der als einfacher Angestellter eines britischen Schifffahrtsunternehmens die Transportlisten von Frachtschiffen kontrollierte. Ihm war aufgefallen, dass Schiffe, die in den Kongo fuhren, ausschließlich mit Waffen und Munition beladen wurden. Offensichtlich ging es bei den Lieferungen nicht um normalen Handel, sondern um die systematische Ausbeutung und Unterjochung eines ganzen Landes. Weitere Nachforschungen und die Berichte von Missionaren und Diplomaten bestätigten Morels schlimmste Befürchtungen. In seinen Aufzeichnungen schrieb er: „Mir wurde schwindelig und übel, als mir die Bedeutung meiner Entdeckung bewusst wurde. Es ist schlimm genug, zufällig einen Mord aufzudecken. Ich aber war zufällig auf eine Gesellschaft von Mördern gestoßen, deren Komplize der König selbst war.“
Obwohl Morel selbst kein grundsätzlicher Gegner des Kolonialismus war, ließ ihn seine moralische Entrüstung zum Aktivisten werden. Erschüttert vom Leid im Kongo beschloss er, dass die Welt aufhorchen musste. Im Alter von 28 Jahren kündigte er seinen Job, korrespondierte mit Augenzeugen und sammelte tausende Dokumente. Er hielt Ansprachen und Vorlesungen, schrieb Artikel und Briefe an einflussreiche Personen und gründete mit der „Congo Reform Association“ die erste moderne Menschenrechtsorganisation der Geschichte.
Mit großem Erfolg: Weltweit begannen Zeitungen damit, sich auf Morels Informationen zu beziehen und seine Anschuldigungen gegen Leopolds mörderisches Regime zu drucken. Durch die großangelegte Medienkampagne wuchs der internationale Druck auf Leopold II. schließlich so stark, dass er den Kongo im Jahr 1908 an den belgischen Staat abtreten musste. Morels unermüdlicher Aufklärungswille hatte so erheblich dazu beigetragen, dass der erste Massenmord des 20. Jahrhunderts beendet wurde und sich die Zustände im Kongo allmählich verbesserten. Ein einzelner Mensch, der heute zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist, hatte dem Treiben Leopolds und seiner Schergen ein Ende gesetzt.
Madeleine Pelletier – Eine radikale Vorreiterin des Feminismus
Wenn heute über sexuelle Selbstbestimmung und die Gleichberechtigung der Geschlechter diskutiert wird, fällt nur selten ihr Name: Madeleine Pelletier (1874–1939). Dabei trat die einflussreiche Aktivistin schon Jahre vor ihrer berühmten Landsfrau Simone de Beauvoir für Frauenrechte ein.
Pelletier war Sozialistin, Feministin der ersten Welle und als studierte Medizinerin die erste Frau, die in Frankreich als Psychiaterin zugelassen wurde. Bereits in ihrer Jugend stand sie in Kontakt mit Aktivistinnen der Frauenbewegung und gründete selbst eine der radikalsten und fortschrittlichsten feministischen Organisationen ihrer Zeit. Lange Zeit vor der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1944 kämpfte sie für eine grundlegende Reform der Erziehung von Mädchen, für die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität und für das Recht, legal und kostenlos abzutreiben. Ihr Ziel war die vollständige Emanzipation der Frau und das Aufbrechen der herrschenden Geschlechterrollen.
Pelletiers feministische Haltung spiegelte sich auch in ihrer äußeren Erscheinung wider: Sie trug kurze Haare, Anzug, Melone und Gehstock – aus Protest gegen männliche Bevormundung, wie sie erklärte: „Wenn diejenigen, welche kurze Haare tragen, über alle Freiheiten, über alle Macht verfügen – nun denn! So werde auch ich kurze Haare tragen.“ Pelletier wurde damit zur Trendsetterin. In ganz Paris griffen Frauen zur Schere, um ein politisches Zeichen zu setzen.
Ihr politisches Engagement sollte ihr letztlich zum Verhängnis werden. 1939 wurde sie festgenommen und für psychisch krank erklärt, weil sie in der Öffentlichkeit dafür eintrat, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Sie kam in die Psychiatrie – diesmal jedoch als zwangseingewiesene Patientin – und verstarb dort binnen eines Jahres.
Garry Davis – Der erste Weltbürger
Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und seinen traumatischen Erlebnissen als Bomberpilot in der US-Airforce traf der ehemalige Broadway-Schauspieler Garry Davis (1921–2013) einen historischen Entschluss: Er wollte keiner Nation mehr angehören. Denn im national begrenzten Denken sah Davis den Hauptgrund für die großen Katastrophen und kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts. Er vernichtete seinen Pass und erklärte sich kurzerhand selbst zum staatenlosen „Weltbürger Nr. 1“. Angetrieben von der Vorstellung der einen Menschheit entwickelte er sich zu einem der entschiedensten Fürsprecher der universellen Menschenrechte.
Als 1948 die UN-Vollversammlung tagte, um über die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu entscheiden, besetzte Davis das Konferenzgelände in Paris und demonstrierte mit zahlreichen Mitstreitern für das weltbürgerliche Anliegen. Während der Rede eines jugoslawischen Delegierten verschaffte er sich unerlaubten Zutritt zum Konferenzsaal und richtete eine Erklärung an die Anwesenden: „Delegierte, ich unterbreche Sie hiermit im Namen des Weltvolkes, das hier nicht vertreten ist…“ Er wurde abgeführt, festgenommen und in Haft gebracht.
Doch aus Davis’ spontanem Protest entstand eine ganze Bewegung. Prominente Intellektuelle wie Albert Camus, Albert Einstein, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir erklärten ihre Solidarität. Ein Tag vor der entscheidenden Abstimmung versammelten sich 20.000 Unterstützer im Pariser Vélodrôme d’Hiver. Der politische Druck auf die Delegierten war plötzlich so stark geworden, dass sie am 10. Dezember gar nicht anders konnten, als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu verabschieden.
Nach diesem historischen Erfolg kam Davis jedoch nicht zur Ruhe. 1954 gründete er die „World Service Authority“ – eine Weltregierungsbehörde, die Pässe für Weltbürger ausstellt. Berühmte Träger eines solchen Passes sind Barack Obama, der chinesische Künstler Ai Weiwei und der Schauspieler George Clooney. Bis an sein Lebensende im Jahr 2013 verfolgte Davis das Ziel, möglichst viele Menschen von der Idee einer Weltregierung für alle Bürger der Erde zu überzeugen. Nur so, erklärte er, könnten künftige Kriege verhindert werden.
Olympe de Gouges – Eine leidenschaftliche Revolutionärin
Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Olympe de Gouges (1748–1793) ist eine der herausragendsten Persönlichkeiten der französischen Aufklärung. Doch anders als die Leichname von Voltaire und Rousseau wurden ihre Gebeine nicht in das Pariser Panthéon überführt, sondern in einem anonymen Massengrab verscharrt. Ihr politisches und literarisches Vermächtnis hat keinen prominenten Platz im kollektiven Gedächtnis gefunden – obwohl es allen Grund dazu gäbe.
Die aus einfachen Verhältnissen stammende de Gouges war ihrer Zeit nämlich weit voraus. Sie war nicht nur eine entschiedene Gegnerin der Todesstrafe und der Sklaverei, sondern formulierte auch eines der wichtigsten Dokumente in der Geschichte der Frauenbewegung: die Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne („Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“) von 1791. De Gouges wandte sich darin bewusst gegen die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die zwei Jahre zuvor von der französischen Nationalversammlung verkündet wurde. Diese proklamierte zwar die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, tatsächlich aber waren damit nur Männer gemeint. Menschenrechte waren zu jener Zeit eben vor allem Männerrechte.
De Gouges forderte dagegen die vollständige Gleichstellung der Geschlechter: „Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich“, heißt es im ersten Artikel ihrer Erklärung. Ebenso wie Männer sollen Frauen den uneingeschränkten Zugang zu allen Ämtern erhalten, an Wahlen teilnehmen und Meinungsfreiheit genießen: „Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; gleichermaßen muss ihr das Recht zugestanden werden, eine Rednertribüne zu besteigen.“
Aufgrund ihrer politischen Haltung und ihres Einsatzes für die Rechte der Frau landet de Gouges schließlich selbst auf dem Schafott. Festgenommen wegen Hochverrat wurde sie zunächst mehrere Monate in einem Kerker festgehalten und einen Tag nach ihrer Verurteilung zur Guillotine geführt.
Olympe de Gouges war sicher nicht die einzige Vorkämpferin für Frauenrechte. Während der Französischen Revolution gab es tausende Frauen, die ein Ende der männlichen Vorherrschaft einforderten und dafür auf die Straße gingen. Doch de Gouges formulierte erstmals in der Geschichte die Menschenrechte als Rechte aller Menschen.