Die Homöopathie erfreut sich noch immer großer Beliebtheit, obwohl es keine wissenschaftlichen Belege für ihre Wirksamkeit gibt. Warum wir die Theorie der alchemistischen Zuckerkugeln nicht ernstnehmen müssen, ihr Gefahrenpotenzial aber schon.
Verdünnung bis zum Gehtnichtmehr
Der Kerngedanke der Homöopathie besteht darin, dass die heilende Wirkung zunimmt, je stärker der Wirkstoff verdünnt wurde. Dabei entstehen geradezu absurde Mischverhältnisse: Bei zahlreichen Beschwerden empfehlen Homöopathen üblicherweise eine sogenannte „C30“-Potenzierung. Eine Flasche Arnika mit dem Verdünnungsfaktor C30 enthält dabei einen Teil Wirkstoff auf 10⁶⁰ Teile Trägerstoff (das ist eine 1 mit 60 Nullen). Um diese schwindelerregend hohe Zahl zu verbildlichen: Würde man eine Kugel, deren Mittelpunkt der Sonne und deren Radius der Venus-Umlaufbahn entspricht, mit dieser Mischung auffüllen, befände sich in dieser kolossalen Sphäre statistisch gesehen etwa ein einziges Molekül des eigentlichen Wirkstoffs. Es ist insofern eine sichere Wette, in einer handelsüblichen Flasche dieses „Medikaments“ buchstäblich kein einziges Atom des aufgedruckten Inhalts mehr vorzufinden.
Würde eine niedrigere Konzentration wirklich zu einer gesteigerten Wirkung führen, könnte man die Welt von Kopfschmerzen befreien, indem man eine Kopfschmerztablette in den Abfluss wirft, sodass sich das Ibuprofen im Grundwasser auflöst. Bei 10²¹ Litern Wasser auf der Welt und 10²³ Teilchen pro Liter Wasser, sowie 400mg Ibuprofen pro Tablette, also 10²¹ Teilchen Wirkstoff, hätten wir eine stattliche C11-Potenzierung angerichtet! Eine Kopfschmerztablette würde die Weltmeere in ein homöopathisches C11-Mittel verwandeln. Wie praktisch! Billiger als dasselbe Zeug aus der Apotheke ist Flusswasser noch dazu. Und wer seinen Wein wegschüttet, könnte der Welt den Rausch ihres Lebens bescheren! Wäre es nur so einfach.
Wassergedächtnis gibt’s nicht – zum Glück!
Um das obige Argument zu entkräften, behaupten Homöopathen häufig, Wasser habe ein Gedächtnis. Es würde sich an die Arznei „erinnern“ und deshalb auch ohne ein chemisches Vorhandensein des Wirkstoffs noch dessen Kräfte besitzen. Wie genau das funktionieren soll? Daran kann sich leider keiner erinnern. Messbare Unterschiede zwischen beschultem und gewöhnlichem Wasser gibt es jedenfalls keine.
Hoffen wir also, dass das Wasser nicht Protokoll über seine Inhalte führt und von diesen lernt. Exkremente, Abfall, Giftstoffe und Krankheitserreger werden zwar im Klärwerk herausgefiltert, aber inwiefern würde das helfen, wenn das gesäuberte Wasser trotzdem die Effekte seiner einstigen Inhalte imitierte? Das arme Leitungswasser müsste sich an geradezu ekelerregende Mengen an Substanzen „erinnern“, die niemand trinken könnte, ohne augenblicklich den Löffel abzugeben. Beruhigend, dass wir hier von vollkommenem Unfug reden.
Schaden kann Homöopathie aber nicht, oder?
Doch, und das soll sie sogar! Freunde der Homöopathie bezeichnen dies als „Erstverschlimmerung“. Die frohe Botschaft lautet, dass homöopathische Mittel die Symptome kurzzeitig verstärken können, bevor die Heilung eintritt. Diese Verschlimmerung sei nicht als Problem zu sehen, sondern als ein Indikator dafür, dass eine reale Wirkung stattfindet.
Leider ist für die erkrankte Person nicht zu unterscheiden, ob eine solche Verschlimmerung ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Es könnte auch Signal einer ernstzunehmenden Komplikation sein, die dringend einer ärztlichen Intervention bedarf. Wer Zuckerkugeln gegen seine Magenschmerzen nimmt und plötzlich von einem noch intensiveren Brennen übermannt wird, sollte sich augenblicklich zum Krankenhaus begeben, weil eine potenziell tödliche Pankreasruptur vorliegen könnte. Keineswegs sollte man die Veränderung mit beruhigendem Wissen als gutes Zeichen fehldeuten.
Aber selbst wenn es dann doch nicht tödlich endet, bleibt womöglich ein falscher Eindruck zurück: Erst wurde es schlimmer, dann irgendwann besser – genau wie von der Homöopathie versprochen! Da fällt es leicht, zu ignorieren, dass dies auch dem ganz natürlichen Verlauf vieler Erkrankungen entspricht, wenn man sie gar nicht behandelt. Praktisch für die Homöopathie, dass ein Funktionieren und ein Nicht-Funktionieren dieselben Resultate erzielen. Selbst wenn gar nichts geschieht, kann dies als Beweis der Wirksamkeit verbucht werden.
Homöopathie gegen Big Pharma
Unter Anbietern homöopathischer Mittel gehört es zum guten Ton, sich gezielt von den „großen Pharmakonzernen“ abzugrenzen und sich stattdessen als die Bodenständigen, die Nahbaren, die „Kleinen“ zu stilisieren. Die letzte Bastion der Menschlichkeit in einer vollkommen durch-kommerzialisierten, entfremdeten, eiskalten Industriesparte. Dabei wird nur allzu gern verschwiegen, dass Homöopathie selbst längst zu „Big Pharma“ geworden ist. Dem aufwändig konstruierten Image der Robin-Hood-Heilpraktiker wird in keiner Hinsicht Rechnung getragen.
Im Jahre 2014 betrug der Apothekenumsatz homöopathischer Arzneimittel in Deutschland 528 Millionen Euro, zwei Jahre später waren es bereits rund 650 Millionen Euro. Eine Abkehr von diesem Expansionstrend zeichnet sich leider nicht ab. Homöopathie ist ein Global Big Player, ob man das nun wahrhaben möchte oder nicht.
Mit dem Vorwurf der vermeintlich verschwörerischen Hinterzimmer-Kooperation zwischen Politik und Big Pharma muss sich auch die Homöopathie-Sparte konfrontiert sehen. Ihre Lobbyarbeit funktioniert jedenfalls ganz hervorragend, sonst würden staatliche Krankenkassen nicht für Zauberkugeln bezahlen oder staatliche Mittel in alternativmedizinische Forschungsinstitute investiert werden. Auch vor gezielten und überaus schmutzigen Propagandamaßnahmen schreckt die Homöopathie nicht zurück.
Ob du Homöopathie nutzt oder nicht: Du zahlst wahrscheinlich dafür
Etliche Krankenkassen übernehmen die Kosten für homöopathische Behandlungen und Medikamente – mit den Beiträgen ihrer Mitglieder. Auch wer Homöopathie ablehnt und evidenzbasierte Medizin bevorzugt, zahlt, je nach Versicherung, anderen Menschen die Zaubermittel. Eine Auflistung darüber, welche Krankenkassen die Kosten für homöopathische Behandlung übernehmen, findet sich hier.
Homöopathie betreibt Propaganda
Anbieter alternativer Medizin profitieren davon, wenn möglichst viele Menschen eine irrationale Skepsis gegen die Schulmedizin hegen. Verschwörungstheorien lassen die Kassen klingeln. Wer seine Kinder nicht impft und stattdessen zu Zuckerkugeln greift, ist ein beständiger Kunde und erzieht gleich noch die nächste Abnehmergeneration in profitabler Weise. Dieses gezielt gestreute Misstrauen gegen Ärzte und ernstzunehmende Medizin ist gefährlich, weil die richtige Medizin dann selbst im Notfall nicht mehr konsultiert wird. Im Dunstkreis der Homöopathie sprießen die medizinkritischen Verschwörungs-Communities nur so aus dem Boden. Diese Entwicklung zu ignorieren, weil es einen selbst ja nicht betrifft, wäre ein Denkfehler: Insbesondere die Anti-Impfungs-Propaganda zersetzt die sogenannte Herdenimmunität der Gesamtgesellschaft und verhilft einigen „ausgerotteten“ Krankheiten zu einer Revangepartie gegen alle.
Auch hemmt eine solche wissenschaftsfeindliche Stimmung medizinische Forschungen. Etliche Universitäten besitzen alternativmedizinische Lehrstühle, die finanziert werden wollen. Dazu werden Mittel aufgewendet, die besser in seriöse Forschung hätten investiert werden können.
Homöopathie wirkt nicht
Es existieren unzählige pseudowissenschaftliche Versuche, die Homöopathie vor der erdrückenden Beweislast zu retten. Etliche Studien betonen, die Mittel würden Protonen abgeben – das mag sein, hat aber nichts mit medizinischer Wirksamkeit zu tun. Eistee, Glühbirnen und Atombomben geben ebenfalls Protonen ab. Andere „Wissenschaftler“ führten Studien mit echten Patienten durch und stellten tatsächlich eine Wirkung fest – die in ihrem Umfang jedoch stets mit dem Placeboeffekt übereinstimmte. Strahlungen in allen Formen und Farben will man gemessen haben, doch auch hier fehlt der Schritt von der Strahlung zur Heilung. Auf eine seriöse Studie, welche die Wirksamkeit der Homöopathie belegt, wartet die Wissenschaft gespannt.