„Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“ ist der letzte Film des 9-teiligen Sci-Fi-Epos und das Ende einer Ära. Für unseren Kolumnisten Alexander Jendretzki bedeutet der Film das endgültige Ende seiner Kindheit. Unerhört, dass er nun mit seinen 31 Jahren erwachsen werden muss. Eine spoilerfreie Reflexion über die Macht, das Erwachsenwerden und Spielzeug-Lichtschwerter.

Wer nicht schon mit Star Wars großgeworden und Fan seit Kindheitstagen ist, tut sich als Erwachsener schwer, die Faszination für die Weltraum-Saga nachzuvollziehen. Der Funke muss früh überspringen, sonst wird kein Feuer mehr daraus. Denn im Kern war Star Wars immer eine Erzählung für Kinder. Der Erfinder George Lucas hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er seine Filme eigentlich für Zwölfjährige erdacht hat – dass sich auch Erwachsene für sie begeistern, hielt er für einen willkommenen Nebeneffekt.

Ich war sechs Jahre alt als mir mein Vater zum ersten Mal den „Krieg der Sterne“ auf unserem kleinen Röhrenfernseher mit Rotstich gezeigt hat. Und ich war sofort hin und weg von dieser „weit, weit entfernten Galaxis“: von einem schier endlosen Universum voller fremdartiger Planeten und grotesker Aliens, von Droiden und Raumschiffen, ikonischen Helden und Schurken und natürlich von den Jedi-Rittern und ihrer mystischen Verbindung mit der Macht.

Von diesem Tag an habe ich mehr mit meinen Star-Wars-Figuren gespielt als mit anderen Kindern. Ich habe die Handlung der Filme nachgespielt, umgeschrieben und meine eigenen Geschichten erzählt; habe Lichtschwertkämpfe mit Besenstilen einstudiert und dabei das Surren und Zischen der Lichtschwerter nachgeahmt. Und ich habe mehr als nur einmal versucht, Objekte mit der Macht zu bewegen – in der Hoffnung, ich sei vielleicht auch ein Jedi und dazu auserkoren, die Galaxie zu retten (zugegeben, das tue ich auch heute noch ab und zu bei automatischen Schiebetüren).

Als Kind bedeutete Star Wars die Sehnsucht nach einer anderen, nach einer aufregenden und märchenhaften Welt. Als Erwachsener bedeutet Star Wars nun die Sehnsucht nach der eigenen Kindheit.

Plötzlich bist Du 31 und immer noch kein Jedi

Die Premiere der neusten Episode habe ich mit einer seltsamen Mischung aus Vorfreude und Wehmut erwartet. Denn es ist der letzte Teil der Saga; das Ende einer Ära. Seit Disney die Rechte an Star Wars erworben hat, ist zwar sichergestellt, dass es auch weiterhin Filme und Serien im Star-Wars-Kosmos geben wird – womöglich bis zur Übersättigung (und ja, ich schätze ich bin einer dieser treudoofen Fans, der sie sich alle ansehen wird). Aber die Geschichte der Skywalkers findet nach vier Jahrzehnten ihr Ende.

Seit dem Anlaufen der neuen Trilogie sind die alljährlichen Star-Wars-Filme in der Vorweihnachtszeit – mehr noch als Geburtstage oder Silvester – für mich zu Wegmarkern geworden, die mir bewusst machen, wie schnell doch die Zeit vergeht. Nun läuft der letzte Teil der Sequel-Trilogie an, ein ganzes Jahrzehnt neigt sich dem Ende zu, ich bin plötzlich 31 Jahre alt und mich beschleicht der Schwermut des Abschieds: Könnte dies das endgültige Ende meiner lang hinausgezogenen Kindheit sein? Was erwartet mich, nachdem die Fanfaren ein letztes Mal das Star-Wars-Motiv im Kinosaal erklingen lassen: Bausparvertrag und Haarausfall? Muss ich nun anfangen, an Weinverkostungen teilzunehmen und Glasuntersetzer zu benutzen? Okay, ich gebe zu: Ich habe kein besonders differenziertes Konzept vom Erwachsensein. Aber woher sollte ich das auch haben? Star Wars hat mir jedenfalls nie beigebracht, wie dieses ominöse Erwachsensein eigentlich geht.

Denn mit etwas Abstand und ein paar Philosophie-Semestern über der Regelstudienzeit muss auch ich eingestehen: Die Star-Wars-Filme haben sich nie durch ihre reife und erwachsene Weltanschauung ausgezeichnet. Es geht um den ewigwährenden Kampf Gut gegen Böse, um Magie und Monster, um mutige Helden, finstere Bösewichte und immer wieder ums Auserwähltsein.

Star Wars ist ja im Grunde ein Märchen: eine futuristische Sage mit Weltraum-Zauberern. Es kommt nicht von ungefähr, dass jeder Film mit den Worten „Es war einmal vor langer Zeit…“ beginnt. Das Weltraum-Märchen weist dabei wenig von dem auf, was man als Ambiguitätstoleranz bezeichnet: die für das Erwachsenwerden so wichtige Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten, Widersprüche und andere Sichtweisen zu ertragen. Ambiguitätstoleranz bedeutet, die Welt nicht in eine helle und eine dunkle Seite der Macht zu spalten. Ambiguitätstoleranz bedeutet einzusehen, dass die eigenen Eltern nicht entweder Darth Vader oder Anakin Skywalker sind, sondern vielschichtige Menschen mit sowohl positiven als auch negativen Eigenschaften.

Erwachsenwerden bedeutet dann auch, dass die jugendliche Egozentrik weicht und man sich an den Gedanken gewöhnt, dass man womöglich doch nicht dazu auserwählt wurde, die Galaxie von einem finsteren Imperium zu befreien.

Will Disney, dass wir nie erwachsen werden?

Nachdem ich mir schon im Vorfeld der Premiere zu viel über Kindheit und Erwachsenwerden den Kopf zerbrochen habe, treffe ich eine Entscheidung: Ich nehme mein Spielzeug-Lichtschwert mit ins Kino. Ein letztes Mal darf ich noch der Nostalgie frönen und von den Heldinnen und Helden meiner Kindheit Abschied nehmen. Nach dem Film aber will ich es an ein Kind verschenken und die Fackel weiterreichen. Dann will ich dem Erwachsenwerden eine Chance geben. „Sich der Angst zu stellen, das ist das Schicksal eines Jedi. Dein Schicksal.“, erklärt ein grau gewordener Luke Skywalker im Film-Trailer und meint damit ganz offensichtlich mich.

Das große Kino in Berlin Mitte ist voll mit Menschen in meinem Alter, es sind größtenteils Männer. Ein paar von ihnen tragen Lichtschwerter, andere sind in Verkleidung gekommen: In Jedi-Roben oder Sturmtruppler-Rüstungen stehen sie in der Popcorn-Schlange. Wahrscheinlich, denke ich, sind auch sie Fans seit Kindheitstagen. Ob auch sie schon ahnen, was ihnen droht? Genau wie ich gehören die Anfang 20- bis Ende 30-Jährigen hier im Kino zur Generation Y (bzw. zu den Millennials) und damit ausgerechnet zu der Generation, der ja ohnehin eine verzögerte Adoleszenz und ein ausgeprägter Hang zur Nostalgie nachgesagt wird – eine Generation von der es heißt, sie habe Peter Pan zum Leitbild erklärt und wolle nicht erwachsen werden.

Mir selbst sind die „Bewahre das Kind in Dir“ oder „Werde nie erwachsen“-Botschaften der Popkultur – ob bei Peter Pan oder beim kleinen Prinzen – eigentlich immer sehr sympathisch gewesen. Doch nun frage ich mich, ob diese Botschaften für meine Generation nicht längst ihr subversives Potential verloren haben und stattdessen zur Kindheitsverklärung oder zum Motto der Werbeindustrie verkommen sind. Disney jedenfalls scheint ein Interesse daran zu haben, dass wir kindliche Konsumenten bleiben. Und mich muss gewiss keine Werbung, kein Ratgeber oder Popsong mehr vor den Gefahren des Erwachsenwerdens warnen: Erwachsensein habe ich schließlich schon früh mit Eintönigkeit und Resignation assoziiert – mit dem Aufgeben von Abenteuern, von Träumen und Hoffnungen. Vielleicht, denke ich als der Eröffnungstext auf der Leinwand vor mir durchs All schwebt, vielleicht ist es an der Zeit, dass ich dieses Bild überdenke.

Mein Abschied von den Skywalkers

So also geht die Geschichte der Skywalkers nach knapp zweieinhalb Stunden Weltraum-Verfolgungsjagden und Lichtschwertgezische zu Ende. „Der Aufstieg Skywalkers“ gibt sich sichtlich Mühe, den alten Fans zu gefallen – versucht, die vielen losen Handlungsstränge zu verknoten, die Fehler der letzten Filme auszubügeln und will dabei so viele Nostalgie-Momente wie möglich unterbringen. Eine Szene gegen Ende des Films – ich verrate selbstverständlich nicht welche – bringt ein Teil des Publikums dazu, laut aufzustöhnen; ich höre sogar eins, zwei Buh-Rufe. Zum Schluss gibt es dennoch verhaltenen Applaus. War das nun ein würdiger Abschluss der Skywalker-Saga? Ich weiß nicht; ich habe zwischendurch zu viel über Kindheit, Erwachsenwerden und Vergänglichkeit grübeln müssen und werde ihn mir wohl noch ein zweites Mal anschauen müssen.

Nach dem Film sehe ich mich im Kinosaal nach einem Kind um, an das ich mein Spielzeug-Lichtschwert verschenken könnte. Aber es ist schon elf Uhr und weit und breit kein Kind zu sehen. Das hatte ich völlig vergessen: Kinder müssen früh ins Bett; wie furchtbar. Plötzlich erscheint mir dieses Erwachsensein gar nicht mehr so übel.

Ich sehe einen Kinomitarbeiter mit einem Star-Wars-Tattoo am Unterarm und frage ihn nach seinem Alter: Er ist 21 Jahre alt. Zehn Jahre jünger als ich – das muss reichen. Wir kommen ins Gespräch, und wie sich herausstellt, trägt er denselben Vornamen wie ich. Eine Fügung der Macht, sinniere ich kurz, verwerfe den Gedanken aber schnell als kindisch. Ich erzähle ihm von meinem Vorhaben, erwachsen zu werden und überreiche ihm feierlich mein Lichtschwert. In zehn Jahren, sofern er soweit ist, soll auch er die Fackel weiterreichen. Er betrachtet andächtig das Schwert und nickt mir dann zu. Ich glaube er versteht. Möge die Macht mit ihm sein.